2009-12-10

nicht eine rezension. fast so veröffentlicht. (delphic - acolyte)

[INDIE magazin No 25]

oh oracle, my oracle

O tempora – wäre das zeitgenössische Manchester ein bisschen wie das alte Griechenland – o mores – dann besäßen Delphic ihrem Namenspatron-Orakel gemäß bestimmt eine eigene Erdspalte mit dazugehörigen hypnotisierenden Gasen und dienten beflissen Apoll, dem Gott der Künste. Doch traditionellerweise beschwört man in ihrer Heimatstadt erfolgreich Musik, keine Dämpfe. Und so scharen sich um die drei Herren ganz ohne magisches Erdloch kunst-affine Horden von Macunians, Arme und Haupt berauscht zu ätherischem Electro-Rock schwingend. Aus frühen Indie-Pop-Tagen behalten Rick, Matt und James ihre Band-Aufstellung und immer wieder aufbrandend emotionalen, griffigen Gesang bei, siedeln sich aber in elektronisch-sphärischen Gefilden an. Die Gitarre wird als Synthesizer neu entdeckt – Rick: “The guitar is dead, long live the guitar“ – und Konzerte wie DJ-Sets ohne Unterbrechungen bestritten. Auch für den künstlerischen Tiefgang bedarf es keiner geologisch-tektonischen Voraussetzung: Delphic bearbeiten in bescheidener Selbstverständlichkeit große, existentialistische Fragen, diskutieren über Sartre, Camus und Rothko, und experimentieren besonders enthusiastisch mit dem Medium Film. Apoll gefällt's. In fein abgestimmten, harmonischen Wellen präsentiert sich ihr klassisch, edler Kopfnick-Electro auf dem Debutalbum Acolyte mal in rockiger Dynamik – dann dampft es ordentlich aus allen Spalten – und mal in minimal Trance. Wenn man bei diesen drei Herren monoton-hypnotische Wiederholungen als Transzendenz und Beats als letzte Realitätsrestbestände auslegt, ist daran wirklich nichts herum-orakelt: Den elektronischen Kunstphilosophen ist schlichtweg einfach zuzutrauen, dass sie metaphysische Deutungen in ihre Musik einschreiben und Plattitüden anderen überlassen.

„Acolyte” erscheint am 22.01.2010 auf Kitsuné / Cooperative Music / Universal.

nicht eine rezension. fast so veröffentlicht. (kill it kid - eponymous)

[INDIE magazin No 24]

i do it like the water does it

Bath ist bekannt für seine antiken römischen Bäder. Das Thermalwasser darin dampft bei etwa 46 Grad, seinen Grünstich verdankt es hohem Bleigehalt. Dirty water tastes so sweet – Natürlich kennen sie sich mit Wasser aus, die fünf im Mittel 21jährigen Musiker der Band Kill it Kid aus Bath. Chris Turpin, Steph Ward, Richard Jones, Marc Jones und Adam Timmins singen und spielen von über die Ufer tretenden Flüssen, ihre Musik entspringt dem Blues des Mississippi Deltas. Wenn Chris singt, wird sein Mund zum römischen Bad – dunkel, historisierend, hallend und als wären Lungen und Sprechapparat gefüllt mit Wasser. Stephs klarer, leichter Gesang liegt wie der Wasserdampf darüber. Auf ihrem Debutalbum schalten Kill it Kid die Wellenmaschine gehörig ein: Wildes Schlagzeug und heulende Gitarren wühlen die Oberfläche dramatisch auf, kurz vor der tödlichen Flutwelle glätten sich die Wogen und trägt Richards Geigenspiel durch lyrische Ruhephasen. Mal Blues, mal Folk, mal Jazz, hier bespielt Steph das Klavier in beschwingter Western Saloon Manier, da gemahnen Adam und sein Banjo an die südlichen Prärien der Great Plains. Das Album ist die Schaumgeburt einer jungen Band in kürzester Zeit, heißt eponymous und erscheint am 5. Oktober auf One Little Indian so wunderschön frisch und doch auch mythischen Vorzeiten entspringend wie Aphrodite aus dem Meer.

(nicht so veröffentlicht:

i do it like carl einstein

Der folgende Text kocht gerade bei 100 Grad über, sprudelt, spritzt und verdampft auf der heißen Herdplatte. Er ist ein Wassertext über die Wasserband Kill it Kid, er wird zu Kill it Kid gekocht. Falling as the river burst its banks.
Bath und das Mississippi Delta liegen über 7000 km voneinander entfernt. In der Unendlichkeit treffen sie sich bei Kill it Kid. Die Band ist ein Channelmedium: Wenn sie im Südwesten Englands den Mund aufmachen, holen sie Klänge des Mississippi Delta der 1920er Jahre ins Diesseits. Wasser wurde eine ähnlich magische Transportkraft zugeschrieben. Ganz ohne Verschränkungen geschieht das mit dem Channeling nicht und das hört man zuallererst in der Musik der fünf Engländer. Zunächst klar, eindimensional, identifizierbar. Wasser eben. Unter dem Mikroskop ist sie dann alles zusammen: Blues, Folk, Country, Jazz. Ihre Musik ist bewegter Wellentanz, ist eine Wellenmaschine, Ebbe und Flut. Das Thermalwasser der Bather Bäder dampft bei etwa 46 Grad. Dem echten Cowboy steht Schweiß auf der Stirn wenn er mit seiner Rinderherde einen Hochwasser führenden Fluss überqueren muss. Wasser ist kostbares Gut in den südlichen Prärien der Great Plains. Die Bather baden besser nicht im Bleiwasser der antiken Therme. Mit Delta Blues als Urvater von Chris Turpin, Steph Ward, Richard Jones, Marc Jones und Adam Timmins sind wir beim Mississippi Delta und da ist wieder so viel Wasser wie in Bath.
Das Debutalbum der Band Kill it Kid heißt eponymous und meint selbstbetitelt. Mit dem Ortsnamen Bath verhält es sich da ähnlich. Kill it Kid klingt wie Billy the Kid, meint aber Blind Willie McTell. Das Wasser verdampft und tropft dann wieder im Kondensat in den Topf. Immer noch kocht der Text. Dirty water tastes so sweet.)

entwicklungsroman. eine aufwärmung.

Unmittelbar links und rechts von dem braunen Mitesser etwa zwei Zentimeter über der Mitte der linken Augenbraue kommen meine beiden Zeigefinger zu liegen. Auf der Suche nach der richtigen Angriffsfläche tasten sie die Umgebung ab, spannen die Haut, treffen sich an den Fingerspitzen. Sie drücken zu. Immer stärker pressen sie gegeneinander, die Nägel hinterlassen Neumonde. Dem braunen Punkt zwischen ihnen bleibt kein Ausweg mehr als die Flucht nach vorn. In der kalten Fliesenstille des Badezimmers wird der Moment des Durchbruchs hörbar. Befriedigung. Wunderschön schiebt und windet sich danach der Inhalt aus den Hautschichten. Es ist eine erstaunlich kompakte, feste Masse, bräunlich und größer als gedacht. Ich übertrage sie auf ein Blatt Papier und versinke in zufriedener Faszination mit mir und meinem Körperrückstand. Ichrückstand aus dem Innersten. Wie Text.

Sie isst ihr Frühstück vom Plastiktischtuchschoner über gestickter Handarbeitspracht und Hundehaaren. Der Hund liegt breit vor dem Herd, fixiert sie. Sie schaut träge zurück. Draußen wird geschlachtet. Der Bauer hat den Hals aufgeschlitzt, die Bäuerin schwitzt und fängt das Blut auf. Das wird später aufgeschäumt und kühl gehalten bis die Zwiebel geröstet sind und zu Mittag Blutstommerl serviert wird. Sie schaut vor sich hin und denkt an die drohende Übelkeit unterm Herrgottswinkel. Das Frühstück schmeckt ihr nicht mehr. Bis die Bäuerin in die Stube kommt bewegen sie sich nicht. Sie und der Hund. Die Zeit vergeht so auch.
Die Bäuerin kommt, wischt Blut in ihre Mantelschürze und stößt den Hund zur Seite. Mit dem Stoß ist eigentlich sie gemeint, dementsprechend schaut die Bäuerin. Zwiebel werden geschnitten und in der Pfanne klappernd umgerührt. Jetzt scheppert das Radio, die Bäuerin schaut weiter grimmig. Es wird gerührt, gestöhnt, es stört, dass sie so träge sitzt und isst und gar nicht daran denkt zu helfen. Nichts schlimmer als unnütze Esser. Das dumpfe Gefühl, dass Bauer und Bäuerin gerade die falsche geschlachtet haben.
Sie denkt dasselbe. Ihr Unterkiefer knackt. Dreimal wöchentlich schläft sie schlecht weil im Nebenzimmer Lattenrost und Bäuerin um die Wette ächzen. Die anliegende Wand wackelt, der Bauer schreit und schimpft wenn sie unrhythmisch versuchten einen Erben für den Hof zu zeugen. Sie liegt dann steif und lange wach. Sieht den Bauern mit dem Schlachtermesser vor sich. Die fleischig-haarigen Blätter der Saublotschn auf ihren Brüsten zittern. Sie legt sie jeden Abend auf, damit ihre Brüste größer werden. Jetzt knacken Fingerknöchel. Unter dem Tisch umfasst sie fest ein Buttermesser. Der Hund knurrt. Blutstommerl also.


Ich habe das so schön Ausgedrückte betrachtet, es immer wieder neu ertastet. Grenzwertig unschuldiges, haptisches Vergnügen. Spannende Schatzsuche, zufriedene Bergung. Spürmomente bis zum restlosen Ausspüren. Dabei fühle ich mich uneingeschränkt wohl, in Ruhe gelassen, mit mir selbst im Reinen.
Bleibt nur noch die Peripetie. Meine Fingerkuppen tasten also nach einer zweiten reifen Pore, finden nichts. Gierig nach Erfolg drücken sie nur noch Lymphe und Blut aus den Gefäßen. Wässrig, nichts Handfestes. Der Moment der erlösenden Entspannung bleibt aus.

Als die Sirenen zu heulen beginnen, fällt das Buttermesser zu Boden. Sie entgeht dem Blutstommerl und der Tat, flüchtet auf das Plumpsklo hinter Tenne und Heuboden. Sie atmet flach. Im schiefen, modrigen Holzverschlag beruhigt sie sich. Neben dem Duftbaum hat die Bäuerin ein Bild von der Himmelmutter angebracht. Verblasste, abblätternde Farbe wacht über feuchtes Holz und Sägespäne, nur das flammende Herz in den Händen der Madonna leuchtet sehr rot.
Sie will nur mehr auf die Wiese zu den müßig wiederkäuenden Kühen. Nur mehr liegen. Und wie sie da liegt, hört sie nur mehr regelmäßiges Rupfen von Gras, sieht sie nur mehr schlaffe Euter, gerade gemolken und ausgeleiert von der täglichen Last. Sie bleibt den ganzen Tag.


Meine beiden Zeigefinger sinken an den Rand des Waschbeckens. Der Blick wandert in den Spiegel, zurück, kritisch, mein Gesicht ist gerötet, und dann auf meine Finger am Rand des Beckens. Ich trage meine Nägel kurz, zwei Millimeter breit soll das Weiß sein. Wichtig dabei ist, dass ich gut an die schwarzblaubraungrüngrauen Ränder komme. Die Ablagerungen unter den Fingernägeln, die Sockenflusen zwischen den Zehen, der Abrieb im Bauchnabel, die Talgrückstände auf der Kopfhaut.
Nach Manier der Selbstbefragung suche ich mich erneut ab. Möchte Neues aus mir herausholen. Der rechte Zeigefinger findet das rechte Nasenloch, kennt seinen Weg. Ahnt die Konsistenzunterschiede voraus. Eine angetrocknete Stelle ertastend, schiebt sich der Nagel des Zeigefingers zwischen Nasenwand und Nasensekret, löst die Kruste vorsichtig, nimmt dabei das schleimige Anhängsel mit. Als wäre ein übergroßer Pfropfen entfernt, fällt das Atmen um vieles leichter. In haptischer Glückseligkeit zwirble ich den Fund zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann lege ich ihn wieder auf dem Papier nieder und beuge mich andächtig über die differenzierte Farbkomposition. Sie spiegelt den Tag wider, wie organische Annalen, wie ein inneres Geschichtenprotokoll.

Jeden Donnerstag geht Paula-Magdalena ins Schwimmbad. Nach Topfengolatschen ist es das, was Paula-Magdalena am liebsten mag. Nach Topfengolatschen. Donnerstag muss sein. Muss so sein wie Topfengolatschen Montags, Dienstags, Mittwochs, Freitags, Samstags und Sonntags. Damit sie sich nicht in eine Topfengolatsche verwandelt; der Mensch braucht Abwechslung.
Heute ist Donnerstag. Paula-Magdalena geht ins Schwimmbad. Gekleidet in ihrem grün getupften Badekostüm. Die Ausmaße eines Badeanzugs sprengt sie. Paula-Magdalena ist formvollendet. Platonisch kugelförmig.
Später am Donnerstag ist sie immer noch im Schwimmbad. Immer noch nicht nass, aber grün getupft und dort, wo sie die Sonnencreme nicht einreiben kann, weiß gestreift. Auf die Dauer machen Topfengolatschen doch unbeweglich. Auch am Donnerstag.
Dann ist es soweit. Paula-Magdalena gleitet die blaugefliesten Stufen in das Becken hinab. Die Sonnencreme-Fettaugen an der Oberfläche schwimmen wie Vorboten voraus.
Sie holt tief Luft und taucht unter. Was für ein Tag. Donnerstag. So schwerelos wie sie sich jetzt fühlt, wird sie sich nie in eine Topfengolatsche verwandeln. Paula-Magdalena muss lachen. Ihr Atem sprudelt an die Oberfläche und zerplatzt. Ausgemachter Blödsinn, jetzt geht sie ja auch schwimmen. Genug Abwechslung. Sie taucht auf.


Erneutes Ausholen in die Vergangenheit. Meine schönste Kindergartenerinnerung ist, während eines Meerjungfrauenliedes auf einem Sessel zu stehen und mit dem Finger zum gefühlten ersten Mal im linken Ohr zu bohren. Während die anderen Kinder singen, bekomme ich den dottergelben, zäh fettigen Brei zu fassen. Es ist beglückend viel. Ich fühle mich ganz unbeobachtet, ploppe den Brei aus dem Gehörgang zwischen die Finger und reibe sie wollüstig aneinander. So viel auf einmal habe ich später nie mehr in Händen halten können. Jetzt die Wendung.

Paula-Magdalena holt tief Luft. Jetzt möchte sie mit einer zügig gekraulten Länge den Tag im Schwimmbad beenden.
Am anderen Ende des Beckens kommen nur noch die Sonnencreme-Fettaugen an. Paula-Magdalena ist verschwunden. Ein ausgewachsener Pottwal steckt hilflos in der Mitte des Pools. Grün getupft und weiß gestreift. Und bläst verzweifelt Wasser aus seinem Atemloch.
Diesen Freitag gibt es keine Topfengolatschen für Paula-Magdalena. Keinen Wochentag mehr gibt es Paula-Magdalena.


Denn man tut all das eigentlich nicht. Vielmehr spricht man nicht davon. All das bleibt besser nicht hervorgeholt. Unverständlich. Ich produziere dieses Wundersame doch.
Einen kleinen weiß knackigen Pickel entdecke ich noch an ganz ungewöhnlicher Stelle am Oberschenkel.

Wieder auf der Wiese ist es schon früher Abend. Sie ist eingeschlafen, erwacht erst von den Rufen des Bauern. Seee Mudl Seee, ruft er die Kühe zu sich, die schon unruhig geworden sind. Die Euter sind prall, dicke Adern treten hervor, schmerzen. Der Hund spuckt Schaum, geifert, treibt die trägen Kühe in den Stall zur Melkmaschine. Sie gähnt, atmet tief satte Landluft ein. Immer noch ruft der Bauer. Einmal senkt sie den Kopf noch, beugt sich tief in die Wiese, rupft grünes, saftiges Gras und kaut. Sie schiebt das Gras gegen den Gaumen, drückt es mit der Zunge zurück. Querrillen der Mahlzähne zerdrücken die Halme, die bald von vier Mägen verdaut sein werden. Sie erhebt sich langsam, die vorderen Paarhufe drücken zuerst in den weichen Untergrund. Seee Mudl Seeeee, und bevor der Hund sie ins Bein beißt, folgt sie dem Bauern in den Stall. In der Stube bekreuzigt sich die Bäuerin mit Wasser aus dem Weihbrunnkessel zur guten Nacht.

Dann finde ich nichts mehr. Ich bin fertig ausgedrückt. Fertig.

2009-08-16

noch eine art netz. bitter.

Draußen ist es noch dunkel. Ich will dir etwas sagen, du setzt Wasser auf und dein lachsfarbener Bademantel schiebt die Brösel auf dem Boden auseinander. Du beugst dich ein wenig nach vor, bis der Wasserdampf dein Gesicht wärmt.
Ich weiß, dass du dich oft wieder zusammengerollt ins Bett legst, wenn ich weg bin. Starrst das Stuckmuster an der Decke an und vermisst mich. Als du mir den Schlüssel zu deiner Wohnung gegeben hast, war das ein Versprechen für dich. Du planst, abonnierst Einrichtungskataloge. Du bügelst meine Hemden.

Jetzt brodelt das Wasser. Du suchst die Teebeutel. Denkst du an deine Träume oder spürst du, dass ich etwas mit mir herumschleppe? Die Teebeutel sind dort, wo sie immer sind. Ich sitze am Küchentisch, meine Fußsohlen bewegen sich über kühle Fliesen.
Ich will gehen. Mir ist der Alltag unangenehm. Ich mag nicht wie du umständlich dein Geld herauskramst, wie du allem was ich sage zustimmst, wie du neben mir liegst. Zu Weihnachten hast du mir Socken geschenkt.

Ich schneide eine Semmel auf. Denke an Stefanie und Paula. Du reichst mir Butter und Honig. Putzt Brösel vom Tisch und meiner Hose. Du träumst von Jausenbroten und einer Familie. Ich mag dein Jausenbrotgesicht nicht. Du hoffst, kaufst Babywäsche.

Der Tee zieht, dir rutscht die Zuckerdose aus den Händen. Wie es schneit, wie die Küche zur Schneekugel wird. Die Luft knirscht zwischen meinen Zähnen, ich huste. Wie Staub legt sich Zucker über uns.
Du hast mir heute wieder den Schlaf aus den Augen gestreichelt, hast mich geküsst obwohl ich nach Schlaf und Mundgeruch schmeckte. Egal wie müde du bist, du wartest immer auf dem Sofa bis ich komme. Wir reden kaum, du trinkst Rotwein. Einmal in der Woche schlafe ich mit dir.

Du stützt du dich an der Küchenzeile ab. Zu müde um den Zucker aus allen Fugen zu putzen. Später. Es ist doch noch so früh. Denkst du. Du wirst weinen, wenn ich fort bin. Du wirst den Teesud in deiner bauchigen Tasse hin und herschwenken und dich fragen wieso du mir so selten Reisauflauf gemacht hast.

Ich beiße in mein Honigbrot, schenke dir ein Lächeln. Draußen wird es hell, wir können schon die Vögel hören. Setz dich, ich muss dir etwas sagen.

nicht ganz literatur. fliegennetz. verwirrte fäden.

Obwohl er nicht mehr weit nach Hause zu gehen hat, setzt er sich in ein Café. An warmen Sommertagen ist er zu matt um den Weg auf einmal zu bewältigen. Er trinkt Kaffee, denn er schläft schlecht in diesen Sommernächten und er ist ein vielbeschäftigter Mann. Er darf sich nicht erlauben müde zu sein.
Die aufmerksame Kellnerin bringt ihm die Tageszeitung. Den Wirtschaftsteil lässt sie in ihrer Schürze. Die Fenster gehören abgedichtet. Und nach Dienstschluss möchte kein beschäftigter Mann an die Mühen des Büroalltags erinnert werden.

Während die Zeitung nach einer gewöhnlichen Schmeißfliege schnappt, rührt er in seinem Kaffee. Er lässt fünfeindreiviertel Zuckerstücke vom Silberlöffel in die Tasse fallen. Wenn niemand hinsieht sogar sechs. Draußen prasseln Fußgänger an Fensterscheiben mit kleinkariert bestickten Vorhängen. Der allabendliche Sommerregen bringt die Kellnerin hinter der Theke zum Seufzen, hat sie die Fenster doch eben erst gereinigt. Die Schmeißfliege schläft jetzt auf ihrer Nase.

Er hat den Kaffee ausgetrunken und liest am Boden seiner Tasse sitzend im Kaffeesud. Es nützt ihm nichts. Wie üblich lacht der Sud nur und spuckt fünfeindreiviertel Zuckerstücke nach ihm, aber er ist ja ein viel beschäftigter Mann. Er lässt sich durch Kindereien nicht beirren. So sinnt er in dem Café, nicht weit von zu Hause, über seine Zukunft. Er weiß genau was er will. Er wird heute Abend noch den Rasen mähen. Dabei fühlt er sich richtig. Lange blickt er in sein dumpfes Spiegelbild im Silberlöffel. Dieser gähnt nur. Ausdruckslos. Was geht ihn das an. Jeden Tag dieselbe Leier. Eigentlich kommen sie alle nur wegen der geilen Kellnerin.
In der Ecke kaut der blinde Schäferhund am Bein des Pastors. Seine Sonntagspredigt war grottenschlecht. Er sprach von Aufbruch und Umkehr. Hier, wo ein viel beschäftigter Mann die Einbahnstraße erfunden hat. Sein Urgroßvater mütterlicherseits. Das betont er immer wieder.

In diesem Moment wird es neunzehn Uhr und dreiundfünfzig Minuten. Die Kuckucksuhr fällt von der Wand. Es ist Zeit nach Hause zu gehen. Er durchtrennt die rosaroten Kaugummifäden die ihn mit der Sitzbank verbinden. Richtet Kragen und Krawatte. Der Kellnerin wirft er einen glühenden Blick und dem blinden Schäferhund fünfeindreiviertel Euro Trinkgeld zu. Dann nimmt er das Bein des Pastors und hinkt damit, wie jeden lauen Sommerabend, nach Hause. Nicht weit vom Café.

2009-08-14

doch eine rezension. sturm (w.shakespeare) - akademietheater

… bis sich das Hämmern legt im Kopf.

Barbara Frey inszeniert Shakespeare’s Spätwerk „Der Sturm“ im Wiener Akademietheater und in den Köpfen des Publikums. Ein gedachtes Stück, ein erzählter Sturm und dennoch ein bilderreicher Abend. (15.06.2008)

von Katharina Serles

Hier wird gearbeitet.
Der Vorhang hebt und senkt sich nicht im Akademietheater. Schon vor dem erwartungsvollen Verstummen des Sonntagabendpublikums liegt alles offenbar, die moderne Nicht-Illusion in Form von zusammengewürfelten Möbeldepotstühlen um zwei schwarze, abgelebte Arbeitstische. Das Bühnenbild von Bettina Meyer scheint im Aufbau begriffen, die Rückwand steht noch nicht zur Gänze, noch klebt Plastikschutzfolie auf den schwarzen Wandplatten. Kaltes Aufbaulicht bestrahlt das Inventar von unten, die Stapel von Büchern und Manuskripten in der Mitte des Tischs und die vielen bunten Lesezeichen dazwischen signalisieren: Hier wird gearbeitet. Und wie sich in den folgenden eineinhalb Stunden zeigen wird: Hier wird mit dem Text gearbeitet.
Hier wird gekürzt.
Ähnlich wie Paul Brodowsky mit „Troilus und Cressida“, im Rahmen der Wiener Festwochen von Luk Perceval inszeniert, verfährt Frey mit „Sturm“, sie streicht nicht nur den Artikel im Titel, gemeinsam mit dem Dramaturgen Joachim Lux kürzt sie das gesamte Original stark, ordnet Szenen um, trennt oder verbindet sie neu und lässt die doppelt- und dreifach besetzten Schauspieler immer wieder andere Rollen einnehmen oder aus den Rollen treten und bloß erzählen.
Hier wird nicht gespielt.
Die Geschichte des faustischen Ex-Herzogs Prospero (Johann Adam Oest), der zusammen mit seiner Tochter Miranda (Maria Happel), vom eigenen Bruder in die mystisch-archaische Inselwelt der bösen Hexe Sykorax verbannt, in merkwürdiger Symbiose mit dem hässlichen, bösartigen Caliban (ebenfalls Maria Happel) und dem treu ergebenen Luftgeist Ariel (Joachim Meyerhoff) einsam lebt und nun in seiner späten Rache die Fäden selbst zieht, die intriganten italienischen Verwandten abstraft und Ferdinand (ebenfalls Joachim Meyerhoff) dem Königssohn von Neapel seine Tochter zuspielt, inszeniert Frey relativ handlungsarm. Schon der erste Auftritt Prosperos ist ein Nicht-Auftritt. Er erscheint rückwärts, verlangsamt, zieht erst seinen hellen Brokatmantel an, setzt sich, sieht sich um und schweigt lange. Sturm und Schiffbruch bringt Frey erst gar nicht darstellerisch auf die Bühne, stattdessen lässt sie die Schauspieler lieber Shakespeare Sonette rezitieren; Ariel entfacht keine Orkane, sondern haucht sanft über Prosperos’ Kopf; und auch die finalen Dialoge zwischen Alonso, Sebastian, Antonio und Prospero finden so nicht statt, die Schiffbrüchigen schweben irgendwo links im Zuschauerraum, unsichtbar, unhörbar auch für Prospero, der sich ihre Antworten von Ariel zubringen oder übersetzen lassen muss. Wie bei Peter und der Wolf werden die Figuren von eigenen Soundlogos angekündigt, wiederholter Käuzchenschrei und Donner kündigen immer wieder Bedrohung an, doch der eigentliche Sturm kommt nie.
Hier gibt’s nichts zu sehen.
Wahrlich, da wird dem Auge wenig geboten, dennoch bewegt sich die Inszenierung damit besonders nah am Original. Schon dem elisabethanischen Publikum wurde wohl nicht mit naturgetreuer Insellandschaft aufgewartet, auch das Shakespeare’sche Festtagsaufgebot der ersten Szene, einer ganzen Schiffsbesatzung samt König und Königsbruder auf hoher See bei Blitz und Donner mit dem Tode ringend, blieb sicher großteils Produkt der Phantasie. So fügt es sich also einerseits gut, dass das Theater des 21. Jahrhunderts ohnehin von sich aus gerne auf naturalistisches Beiwerk verzichtet, andererseits versucht Frey in der bewussten Weiterführung der Nicht-Inszenierung etwas anderes: Es ist nun ein Abtasten des Texts, auf seine Komik wie auf seine Ernsthaftigkeit, aber vor allem auf seinen Imaginationsgehalt. Was entsteht in den Köpfen der Zuschauer, wenn Prospero an seinem Schreibtisch sitzend aus der Ferne die alten Geister auferstehen lässt und sich erinnert? Im schlechtesten Fall nur gute Unterhaltung, im besten Fall erfahren wir:
Hier ist alles nur Schein.
Die Insel ist nicht Realität, sie ist nicht real abbildbar, sie ist Modell von Realität, sie ist Theater ohne Autorinstanz, ohne sinnstiftenden Ansatz- oder Auflösungspunkt. Die Widersprüche oder Uneinigkeiten, die auf der Insel aufgeworfen werden, werden nicht gelöst. Das ist schon im Originaltext angelegt, der die Insel einmal grün wuchernd, einmal dürr und karg beschreibt, oder der Prospero nicht stur seinen Racheplan verfolgen lässt. Das unterstreicht aber auch die Inszenierung indem sie eben doppelt besetzt, Grenzen zwischen Figuren damit verschwimmen lässt, beziehungsweise sie um Dimensionen ursprünglich scheinbar konträrer Figuren erweitert. Damit ist diese Insel, dieses Theater wahrer und als Gedankenmodell dennoch flüchtiger als alles was typisch und eindeutig bleiben darf. Dementsprechend lässt Frey Prospero, der sich das ganze Stück über immer wieder an den Kopf gegriffen hat als würden ihm die Geschehnisse Kopfschmerzen bereiten und sich das Hämmern eben nicht legen, mit folgenden Worten schließen: „[…]unsere Spieler waren Geister alle […] das ins Nichts gebaute Trugbild wird vergehen wie der Erdball, […] das wesenlose Schauspiel zerfließen, verschwinden ohne Spur. Wir sind aus solchem Stoff aus dem man Träume macht.“ Oest schließt bewegt, vielleicht mit Tränen in den Augen, er spricht hier auch über seinen Beruf. Dann kehrt er den Anfang um, er zieht den Mantel aus und geht ab. Diesmal vorwärts. Erinnerung, Kopftheater Ende.
Aber ein bisschen fühlt es sich an wie in Shakespeare’s Globe Theatre.
Frey inszeniert vielleicht nicht texttreu, aber Shakespearetreu. Sich in einem Stück von Shakespeare nämlich einfach gut zu unterhalten heißt, es ein bisschen wie Shakespeare und seine zeitgenössischen Zuseher anzunehmen. Es birgt eine gewisse Komik in sich, wenn aus dem treuseligen Ariel mit Hornbrille und elisabethanischem Halskrausenhundehalsband durch blonde Mittelscheitelperücke und keck aufgesetztem Froschprinzenkrönchen Ferdinand der Königssohn von Neapel wird (Kostüme von Bettina Munzer), oder wenn sich derselbe als Stephano mit Haube innerhalb von Sekunden wieder in Ariel und zurück verwandeln muss. Wie auch bei Perceval dient die Kopfbedeckung bei Frey allen Figuren als vordergründigstes Erkennungs- und Identitätsmerkmal. Besonders gelungen scheint die komische Doppelung von Caliban/Miranda – da wird die unschuldig, jungfräulich schöne Feengestalt Miranda eins mit dem hässlichen, bösen Caliban, beide kahlköpfig in ein raupenartig enges, braunes Gewand gezwängt. Aber der großartigen schauspielerischen Leistung aller Beteiligten und dem notwendigen Ernst von Darsteller und Regie ist es zu verdanken, dass die Bearbeitung nicht zur Farce wird. Shakespeare wird hier wenn nicht wirklich greifbar, jedenfalls denkbar.

doch eine rezension. clavigo (j.w.goethe) - volkstheater

Doppelte Bemühungen um Goethe
Stephan Müller inszeniert Goethes Clavigo mit halbem Text und doppelter Entselbstung.

Von Katharina Serles

Über Inneres und Äußeres
Goethe legt in diesem frühen Bürgerlichen Trauerspiel, das er in acht Tagen zu Papier bringt, den virulenten Konflikt zwischen den Ständen in das Innere des Protagonisten. Legt alles Äußere ins Innere und übt, so scheint es, schon den Werther. Der Aufsteiger Clavigo steht zerrissen zwischen Verselbstung und Entselbstung, Systole und Diastole, zwischen Liebe und Erfolg. Entweder er hält Wort, widmet sich in empfindungsvoller Liebe der Französin Marie und damit dem bürgerlichen Mittelmaß, oder er gibt seinem Ehrgeiz nach am spanischen Hof „hinauf, hinauf“ zu drängen. Verstärkt wird von außen auf ihn eingewirkt, Carlos und Beaumarchais fungieren wie zwei Pole in deren aufgespanntem Magnetfeld Clavigo schwankt. Leicht bestimmbar fehlen ihm die Züge des kraftvollen Sturm- und Drang Genies. Das tragische Ende liegt in seinem Nichtentschluss begriffen.
Müller wiederum kehrt in seiner Inszenierung am Wiener Volkstheater Innerstes nach außen, lässt den inneren Konflikt körperlich ausagieren und interne Strukturen des Stücks in Figurenkonstellationen und proxemischen Zeichen offenbar werden. Das beginnt bei synchronem Stellungsspiel und endet in verzweifeltem Ausdruckstanz die Wände entlang. Jedes Detail stimmt in dieser Inszenierung, überall liegt Bedeutung und es scheint die Aufgabe des Publikums diese Sinnpartikel aufzulesen und zu einer großen Aussage zusammenzufügen.
Über Strukturverliebtheit
Zunächst einmal ergänzen sich Hyun Chus Bühnenbild und Birgit Hutters Kostüme in merkwürdiger Textur- und Strukturverliebtheit. Das scheinbar schwer rinnende Gold von den Rück- und Seitenwänden steht für Prunk, Pomp und Macht am Hof, die weißen, halbtransparenten, handgeschöpften Zwischenvorhänge deuten die weibliche Kemenate an, verkleinern und verbürgerlichen den höfischen Raum. Vor diesem haptisch anregenden Hintergrund in goldbraunweiß bewegen sich die Figuren in ähnlich monochromen Kostümen. Clavigo (Raphael von Bargen) und Carlos (Michael Wenninger) spielen in schwarzen Nadelstreifanzügen die spanischen Höflinge, Beaumarchais (Günter Franzmeier) und Saint Georges (Markus Westphal) in braunen Mänteln, Hüten und Handschuhen die französischen Rächer. Die Vertreter der Ratio, Guilbert (Thomas Kamper) und Buenco (Till Firit) im schwarzen Frack mit gepunkteter Krawatte (einmal Schwarz auf Weiß, dann Weiß auf Schwarz) wirken ebenso sonderbar clownesk wie Sophie (Heike Kretschmer) in ihren klobigen Mary Poppins Stiefeletten und mit den doppelten Dutts. Weiß bleibt Marie (Luisa Katharina Davids) vorbehalten, die anfangs barfuß, im weißen Negligé die unschuldige Licht- und Musenfigur personifiziert, bis auch sie braun gekleidet und verschleiert wird. Die unterschiedlichen Doppelungen erfolgen ganz bewusst und unterstreichen die dem Stück inhärenten binären Oppositionen ebenso, wie sie auch noch einmal die Struktur des Grundproblems zitieren: Clavigo steht zwischen A und Z, Systole und Diastole, Marie und Hof. Bei genauer Beobachtung ist auch alles andere gedoppelt in Müllers Inszenierung. Seien es gedoppelte Clavigo/Marie Rufe, gedoppelt synchrones Spiel, gedoppelte Figurenkonstellationen im Raum – wie etwa die beiden Proszeniumszenen von Carlos und Clavigo in Szene 1 und Beaumarchais und Saint Georges in Szene 2 – oder einfach zweimal wiederholte Sätze.
Wie ein roter Faden zieht sich die Detailverliebtheit weiter durch die ganze Inszenierung. Eine genaue Bewegungschoreographie der Schauspieler, die durch ihr streckenweise synchrones Spiel das Stück eigenartig verfremden, ist gleichzeitig auch verkörperlichter Ausdruck eines marionettenhaften Daseins. Jede Figur scheint, von unsichtbaren Fäden gezogen, zwischen Verselbstung und Entselbstung hin und hergerissen; und so heben etwa Sophie und Buenco völlig synchron die Arme zum Gruß um dann plötzlich statuenhaft zu verharren und die Pose schließlich zeitlupenartig zu lösen. Besonders sticht dabei natürlich der Körperschauspieler Raphael von Bargen hervor, der sich in einem mit Martin Woldan einstudierten Kraftakt in extremen Schieflagen sogar kopfüber an den Wänden entlang über die Bühne rollt. Ihm wird im fünften Akt fast jede Zeile gekürzt, er spricht nicht mehr, er drückt aus und läuft einerseits gegen die bürgerlichen, aber andererseits auch gegen die eigenen Wände an, die ihm ein Ausbrechen und eine Auflösung der Situation verwehren.
Über Komik
Nichtsdestotrotz bewahrt Müller einen feinen Humor und es darf geschmunzelt werden im Volkstheater. Sein ungezwungener Umgang mit dem Originaltext ermöglich ironisch eingefügte Beisätze wie die Antwort Beaumarchais, „Ich bin da! Gott sei Dank, bin ich da!“ auf Maries, „Bist du da? Gott sei Dank, du bist da!“ im Originaltext. So darf auch Michael Wenninger seinen Carlos sehr frisch anlegen und muss sich gelegentliche Kommentare wie „Schön, dass Sie da waren!“, bei halbleerem Haus, und dialektal gefärbte Interjektionen wie „Es gibt nichts Erbärmlicheres… boah ah!“ nicht verkneifen. Ganz Harlekin hüpft, stolpert und rudert er in Slapstickszenen über die Bühne, bespielt den Raum damit ganz anders als Clavigo in seinem verzweifelten Ausdruckstanz, ist aber dennoch ebenso wenig Herr seiner Umgebung wie Clavigo. Auch die angedeutete Homoerotik zwischen Clavigo und Carlos – durch affektiertes Bussi-Bussi Gehabe und Hunderuf oder Apportierspiel – belebt die Inszenierung abseits einer farblos langweiligen Luisa Katharina Davids, die nur verhuscht ins Leere blickt. Ihr gegenüber steht eine hysterisch-komische Sophie, die brüllend über die Bühne trippelt und mit knallroten Lippen und Dutt-gehörnt ohnehin sofort optisch an einen Clown erinnert.
Über Anfang und Ende
Was das Stück an sich schon vorgibt, eine Ankündigung oder gar Festschreibung des Folgenden bereits im ersten Akt, ahmt auch die Inszenierung nach. In den eineinhalb Stunden der Aufführung wird das tragische Ende der Doppelleichen immer wieder antizipiert. Sei es in dem Aufscheinen des Lochs in der Mitte der Bühne, das später Maries und Clavigos Grab sein wird, bereits im zweiten Akt, sei es Maries leichentuchartig übergestülpter Schleier, seien es die beiden Messer in der Wand, oder die abenteuerliche Westernmusik zwischen den Szenen (Musik von Thomas Luz). Unheilvolle Blicke der Figuren künden bei allen komischen Verfremdungen nicht unbedingt von gutem Ausgang, der dann auch doppelt schlecht wird: Müller zerstört mit der letzten Szene alle vorher so feinsinnigen Interpretationen. Er lässt Clavigo und Marie wie Romeo und Julia begleitet von einem kitschigen Popsong Hand in Hand aus ihrem Grab wiederauferstehen und starr ins Publikum blicken. Welche merkwürdig metaphysische Aussage hier getätigt sein will, bleibt völlig unklar.
Insgesamt, trotz oder bei aller Doppelung und Detailverliebtheit, es bleibt eine sehr bemühte Inszenierung. Nur leise und etwas ängstlich wagt sie eine Verheutigung, die nicht konsequent beziehungsweise schlüssig durchgeführt wird. Da hat Jan Bosse in seiner Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg 2001 mit der Doppelbesetzung Wolfram Kochs als Carlos und Beaumarchais und der Verortung des Geschehens in einem Großstadtbüro viel mehr für die Aktualisierung des Werks getan. Und wer nicht ganz genau aufpasst, dem entgeht die feine Interpretation Müllers vielleicht völlig. Was dann bliebe wäre eine fürchterliche Schlusseinstellung und ein bisschen Klamauk.

doch eine rezension. der hässliche (m.v.mayenburg) - schauspielhaus

Das kleine Ich Bin Ich und Das hässliche Entlein finden ans Theater. Oder: Über Mayenburgs „Der Hässliche“ am Wiener Schauspielhaus.
(Katharina Serles)

“And I'm trying to be a person, / But they all say I'm worthless. / This is my description of an ugliness.”

Iggy Pop, Wegbereiter des Punkrock, singt 2001 was 2007 Hintergrundmusik zu Mayenburgs „Der Hässliche“ gewesen zu sein scheint. Individualität, ästhetischer Schönheitsbegriff, Identität und Erfolg – Hier wird auf die Bühne gebracht, was wir eigentlich schon unzählige Male auf MTV und VIVA gehört und gesehen haben, aber während wir gedanklich bei Michael Jackson und Pamela Anderson hängengeblieben sind und kopfschüttelnd Vorher-Nachher Fotos vergleichen, hält Mayenburg seinen Finger auf den ganz alltäglichen, allumfassenden Identitätsverlust. Sein Stück ist keine Hollywoodkomödie, nicht Kritik an der Schönheitsindustrie, es ist ein unaufdringlich lockeres Abtasten der großen philosophischen Fragen um Identität und Wahrnehmung. Wer bin ich? Woran mache ich mich fest? Wer bin ich wenn ich anders gesehen werde? „Der Hässliche“ ist eines jener Werke, die absurd komisch auf der Zunge zergehen aber im Abgang nachdenklich stimmen. Klar, das haben wir alles schon gehört, beginnend bei unseren Kindheitslektüren, bei Mira Lobes „Das kleine Ich bin Ich“ und Hans Christian Andersens „Das hässliche Entlein“, aber gerade jetzt zwischen Germany’s Next Topmodel und MTV Made, ist das wieder eine wichtige Stimme, die abseits von Talk- und Realityshows endlich der Eigenwahrnehmung nachfühlt.
Marius von Mayenburg klingt übrigens nur nach dem Barockdichter Hofmann von Hofmannswaldau, hat zwar ausgerechnet Altgermanistik (und szenisches Schreiben) studiert, lebt aber noch. 1972 geboren, 1997 ausgezeichnet mit dem Kleist-Förderpreis für Junge Dramatik, seit 1999 Dramaturg und Hausautor an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin.
In „Der Hässliche“ spielen vier Schauspieler acht unterschiedliche Figuren die wohl so unterschiedlich gar nicht sind, das steht so in den Regieanweisungen. Einer von ihnen, Lette ist angeblich potthässlich, er weiß es zu Beginn nur nicht; auch hier greift der Autor vor, laut Regieanweisung soll Lette ausdrücklich „normal“ aussehen, nicht extra hässlich besetzt oder geschminkt werden. Dieser Lette lebt nun anfangs in märchenhaftem Einklang mit sich und der Welt und mit Fanny, die ihn liebt wie oder obwohl er so ist wie er ist. Er ist zwar Entwickler eines tollen Steckers, darf ihn aber nicht präsentieren – endlich „stecken“ es ihm Fanny, sein Chef Scheffler (was für ein sprechender Name) und sein Mitarbeiter Karlmann: Sein Gesicht ist nicht verkaufsfördernd. Die Konsequenz wird schnell gezogen, Lette kauft sich ein neues Gesicht und plötzlich wird alles – nicht nur sein Äußeres – ganz anders. Sein Gesicht kommt so gut an, dass es plötzlich alle haben wollen. Ein Lettenarzissmus macht sich breit und am Ende findet Lette bei all den Lettes sich selbst nicht mehr.

„You are beautiful. No matter what they say.“ (Christina Aguilera) vs. “Es ist nicht, daß ich dich häßlich finde. […] Es ist keine Frage, was ich finde oder nicht finde. […] Du bist häßlich. Das ist eine Realität.“ (Fanny)

Marlon Metzen inszeniert „Der Hässliche“ für April/Mai im neu eröffneten Schauspielhaus in Wien als flotte Abendunterhaltung. Gleich zu Beginn tritt Scheffler (Christian Dolezal) auf halbdunkler Bühne auf und beginnt seine ersten Sätze über das Hotel Excelsior wiederholt rhythmisiert zu sprechen, geradezu zu rappen, in schönstem nasalen Hietzinger Deutsch. Dann Auftritt Lette (Johannes Zeiler), Fanny (Bettina Kerl), Karlmann (Vincent Glander): Alle lachen, alle setzen sich (auf die Plätze), die Bühne wird voll ausgeleuchtet (fertig) – los geht’s. Die folgenden 70 Minuten werden im Dauerlauf zurückgelegt, der schnelle Text ohne Szenenwechsel weil ohne Szenenaufteilung bleibt schnell und dem Raum enthoben.
Als Teil der Reihe „Schauspielhaus-Skizze“ wird auch hier versucht sich dem Text ganz unmittelbar zu nähern, ihn ohne eigenes Bühnenbild nach nur zwei Wochen Probenzeit aufzuführen. Teilweise entspricht dieses Format sogar der Vorstellung Mayenburgs, dem es „im Theater um den Schauspieler geht, um die Begegnung des Publikums mit ihm, und nicht um den Autor, den Regisseur, den Bühnenbildner oder sonst wen. […] Wo das Ganze stattfindet, ist mir egal. Schön ist es, wenn es nicht reinregnet, und die Schauspieler und Zuschauer nicht frieren müssen.“ Im Schauspielhaus bleiben Bühne und Zuseherraum weitestgehend leer. Auf weißer Bühne, vor weißer Rückwand stehen vier Sessel, im Halbrund angeordnet. Auf ihnen sitzen die Darsteller wie auf der Ersatzbank, meist wenn sie nicht direkt in die Szene involviert sind, Auf- und Abgänge gibt es nicht und selbst wenn sie nicht gerade spielen, sind sie Teil des Stücks, kommunizieren wortlos miteinander oder kommentieren das tatsächliche Geschehen.
Dass aber dennoch verschiedene Schauplätze einander abwechseln, wird angedeutet durch sesseltanzartigen Sitzplatzwechsel und unterschiedliches Licht, das die Bühne dann rot, blau, grün oder gelb ausleuchtet. Ganz besonders gut gelingt es Metzen aber auch die fließenden Übergänge sowie die Doppeldeutigkeiten, die aus den Doppelbesetzungen resultieren, anhand der Figurenkonstellationen zueinander zu unterstreichen: Liegt in einer Szene die alte Fanny, die Schönheitsoperierte lüstern auf Lette, drehen sie sich bei Szenenwechsel um und liegt in der Folgeszene der nun alles unter sich begrabende, ichbezogene Lette auf der Ehefrau Fanny. Küsst Johannes Zeiler als Lette in einer Szene lustvoll die Narbe der alten Fanny, schreit Bettina Kerl als Ehefrau Fanny gleich darauf auf und stößt ihn weg.
Überhaupt bewegt sich die alte Fanny nur lüstern um und auf Lette, hält ihm immer entweder neckisch ein Bein hin oder springt ganz in seinen Schoß, mehr Bühnenraum erspielt sie nicht. Die junge Fanny, die Anti-Aguilera, stellt klar: Lette ist hässlich. Das hat nichts mit subjektivem Empfinden zu tun. Viel ehrlicher, viel brutaler, aber so ist das mit der undiplomatischen Fremdwahrnehmung und den Figuren in Mayenburgs Stück. Dolezal, Zeiler und Co. spielen ihre Rollen dementsprechend auch ein bisschen typenhaft, wenig facettenreich, aber mehr will schon der Originaltext mit keiner seiner Figuren. Sie zitieren vielmehr unsere stereotype Wahrnehmung alltäglicher Umgebungen. Da sind der gewinnorientierte Chef und der gewinnorientierte Chirurg, der rivalisierende Mitarbeiter und der unterdrückte, schwule Sohn, die liebende Ehefrau und die promiskuitive Gegenspielerin, und in ihrer Mitte der zuerst nette Hässliche und dann größenwahnsinnige Schöne. Die Schauspieler meistern die Doppelbesetzungen mit erstaunlicher Differenziertheit, die im finalen Selbstgespräch Lettes kulminiert, in dem Zeiler beide Stimmen (ach in seiner Brust) stimmlich ganz klar von einander abgrenzt. Dolezal spielt beherzt, streckenweise – vielleicht vom hysterisch lachenden Publikum angetrieben – übertreibt er es aber mit dem kalauernden Scheffler und bleibt, etwa wenn er mehrmals deutlich den Dialekt Schefflers ändert, in seiner Spielweise nicht präzis und eindeutig.
Am schönsten (!) ist, dass wir die ganze Zeit auf Zeilers Nase starren und uns fragen, ob die jetzt wirklich ungewöhnlich unschön ist, oder uns das ständige Gerede über Lettes Hässlichkeit nicht doch beeinflusst hat. Und, dass Bettina Kerl als Ehefrau Fanny beim ersten Verbandwechsel einen hollywoodreifen Horrorschrei ausstößt, den wir ihr fast abnehmen möchten. Und irgendwie erinnert uns das dann doch an unsere Schullektüre. Wie war das denn noch mit diesem Käfer in Kafkas Verwandlung. Gregor zwischen Eigenwahrnehmung, Verwandlung und Fremdwahrnehmung. Ja, hier wird Realität der Bühnenwelt aus Worten geformt. Und irgendwann sollen wir uns selbst dabei ertappen, den operierten Lette mit Zahnpastalächeln, nach hinten gestrichenen Haaren, hochgekrempelten Ärmeln und strahlend vor Selbstbewusstsein, schöner zu finden. Lette wird uns als Robbie Williams präsentiert und wir stolpern in die Falle. Dass Metzen ganz stark auf das Publikum und dessen Reaktionen abzielt, zeigt sich auch in Szenen in denen konkret mit den Zusehern gespielt wird. Da zeigt zum einen Fanny auf verschiedene Gäste im Zuseherraum wenn sie über die vielen Liebhaberinnen Lettes spricht, da tritt zum anderen Scheffler mit Mikrofon in den Publikumsraum um Lettes Gesicht wie in einer Verkaufsshow für die Zuseher zu bewerben. Besonders auffallend – das bei dieser Thematik so naheliegende Requisit Spiegel fehlt, stattdessen blickt Lette ins Publikum um sich zu betrachten. Einer von vielen gutgemeinten Hinweisen der Regisseurin in Richtung Fremdwahrnehmung, mehr macht sie aus diesem Stück leider nicht. Die Ich bin Ich Geschichte über die Suche nach Identität geht ein bisschen verloren, da hilft der surreale Schluss nichts mehr, wir haben vorher schon zu viel gelacht. Für mehr als nur nette Abendunterhaltung braucht es wohl doch mehr als zwei Wochen Vorbereitungszeit.

doch eine rezension. der jüngste tag (ö.v.horvath) - theater in der josefstadt

Das Behagen in der Kultur
von Katharina Serles

Weil der ehrbare, gewissenhafte Stationsvorsteher Hudetz vom Kuss der Wirtstochter Anna abgelenkt ein Signal zu stellen vergisst, entgleist Eilzug Nummer 405, sterben 18 Menschen. Während Hudetz behauptet, das Signal gegeben zu haben und dabei von Anna unterstützt wird, klagt ihn seine Gattin, Frau Hudetz, die Kuss und Versäumnis beobachtet hat, an. Von hier aus entwickelt sich ein Ambivalenzkonflikt zwischen Schuld und Unschuld, Gewissen und performativer Einflussnahme der Gesellschaft.

Die Inszenierung Ödön von Horváths „Der jüngste Tag“ von Philip Tiedemann am Wiener Theater in der Josefstadt (Premiere 28.02.2008) ist an Spießigkeit nicht zu übertreffen.

Dabei wird alles aufgeboten was das Theater zu bieten hat, ein prallgefülltes Bühnenbild (Etienne Pluss), historische Kostüme aus den 30ern (Stephan von Wedel) und eine bedeutungsschwangere Geräuschkulisse zwischen Echo und Leierkastenmusik (Ole Schmidt). Der Plan geht aber nicht auf, die Inszenierung kratzt höchstens an der Oberfläche. Das ungemein konservative Bühnenbild ist hübsch hausbacken aber langweilig anzusehen. Die klaustrophobische Enge des bürgerlichen Klein- und Kleinstraumes (die Drogerie als kleiner Würfelraum im Bühnenraum) ist gut umgesetzt, die vielen Details verstellen aber einen eigentlichen Blickpunkt, lösen in ihrer Überladenheit feine Bedeutungsnuancen auf. So wird das Kalenderblatt an der Küchentür nebensächliches Dekor, die ständig sichtbare Ampel einfallsloses „no na“-Requisit. Wenn dann noch immer wieder Schienenmusik und Zugsignale erklingen, damit der unsichtbaren Figur „Zug“ Rechnung getragen wird, ist das alles andere als produktiver, innovativer Umgang mit der Vorlage, das ähnelt ÖBB-Fernsehwerbung.
Aber es kommt noch schlimmer. Anstatt hier wenigstens konsequent konservativ zu inszenieren, gibt es versuchte Momente der transzendenten Bedeutung und abstrakt modernen Umsetzung: Die traditionelle Guckkastenbühne ist grellweiß klinisch eingerahmt, ein grellweißer Streifen trennt auch Proszenium von Vorderbühne und symbolisiert… die Zwischenwelt der Geister? die Leerstelle Bahngleis? In den Wirtshausszenen wird sie von einem roten Läufer überdeckt um von den Dorfbewohnern bespielt zu werden, die Symbolik bleibt trotzdem unklar; im besten Fall entspricht die neonweiße Umrahmung des altmodisch-biederen Kerns dem Horváth’sche Jargon: der Dialekt, das „Milieu“ in der Sprache, soll entkitscht und überdeckt werden. Im besten Fall.
Es hapert zu sehr an allen Ecken und Enden. Dem zahlenmäßig starken Aufgebot an Schauspielern ist spielerisch wenig individualisierte Charakterisierung abzugewinnen: Allen voran besticht August Zirner, der gefühlsmäßig zu alt besetzte Hudetz, durch Farblosigkeit und eine Unentschlossenheit, die nichts mehr mit ausagierter Ambivalenz und innerer Zerrissenheit zu tun hat. Hier fehlt es an tiefer Auseinandersetzung mit der Figur. Auch Eva Mayers dramatisch-verletzliche Burgtheater-Interpretation der sonst eher bodenständigen Kellnerin Leni ist ein glatter Fehlgriff. Zwischen den steifen Figuren steht nur noch die Horváth’sche Stille. Aber auch die ist ins Endlose gedehnt ohne zu wirken wie sie soll: aufgeladen mit der Spannung des ständigen inneren Widerstreits. Stattdessen: Bemühte Leere.
Furchtbar bemüht wirken auch die Echoeinsätze im zweiten und siebten Bild, die die Stimmen bis zur Unkenntlichkeit verdoppeln und verzerren, die rätselhafte pantomimische Todesengelsfigur, die aussieht wie der Staatsanwalt (Alexander Strobele), und schließlich die Christusreferenz beim Selbstmordversuch Hudetz’, der sich wie der Gekreuzigte an den Bühnenrand legt, bevor er, in dieser Inszenierung wohl geläutert, wieder auf(er)steht. All das steht in krassem Widerspruch zur restlichen Inszenierung, fällt irgendwie aus dem Rahmen, wirkt zu stark gewollt und dabei jede Form von tatsächlich tieferer Bedeutung und Interpretation meilenweit verfehlend.

Leni: Man tappt noch im Dunkeln.

Es gibt sie dennoch, die kleinen Lichtblicke in der zweieinhalbstündigen Aufführung. Nämlich immer dann, wenn Tiedemann wagt zu interpretieren: Wenn sich das postkoitale Pärchen Ferdinand (Martin Bretschneider) und Anna (Maria Köstlinger) unter die Oberteile kriecht oder ein Dialog zwischen Alfons (André Pohl) und Frau Hudetz (Marianne Nentwich) zum vokalischen uaaeoä-Gesang dekonstruiert wird. Überhaupt beginnt die Inszenierung stark, da stakst Hudetz wie ein Wettermännchen mehrmals aus seinem Wärterhäuschen und wiederholt die Signalstellung in immergleicher Choreographie, da brausen durchfahrende Züge quer durch den Zuschauerraum (das Proszenium ist der Bahnsteig, also führen die Gleise direkt durch das Publikum; fahren die Züge durch, wird der Saal völlig abgedunkelt) und antizipieren so den Moment des Unfalls.
Schön auch, wenn Komik in Unbehagen umschlägt: Wenn die Aufziehpuppendorfgemeinschaft unter Marschmusik im Gänsemarsch ins Gasthaus einzieht und tatsächlich ein kleines Mädchen brav das Gedicht aufsagen darf, sodass das Publikum ganz Dorfgemeinschaft wird und wohlwollend applaudiert, oder der Walzer von Anna und Hudetz immer schneller und die Musik immer atonaler wird, bis sie sich beinahe ringend umeinander drehen. Hier wird endlich fühlbar was eigentlich Thema des 1936 verfassten Schauspiels ist: Wo steht das Individuum zwischen bürgerlicher Moral, dem eigenen Gewissen und dem gesellschaftlichen Druck von außen: Hudetz und Anna tanzen ein Ringelreihen des Gewissens. Das Schuldgefühl, das bei Freud die Kultur konstituiert, konstituiert bei Horváth die spießbürgerliche Dorfgesellschaft, die die Außenseiter, Sündenböcke und Unschuldigen braucht um überhaupt Gesellschaft zu sein. Leider ist das Freud’sche Unbehagen in der Kultur von Tiedemann im Großen und Ganzen zu behaglich inszeniert. Dem Publikum wird ein gefällig beschaulicher Abend geschenkt, die Augen fallen aber trotzdem immer häufiger und länger zu und der jüngste Tag wird in der gesamten Inszenierung ganz bestimmt nicht eingeläutet. Eine ambitionslose Umsetzung

nicht wien. skandinavien 06. auf großer fahrt.

Supermarktdiskussionen zwischen Pesto und Tomatensugo inszenieren wir für die Action zwischen Sonnenfotos am Hafen und zusammengekauerten Schlafstunden[ewigkeiten] im Zug. An eitergelben Wiesen vorüberfahrend sprechen wir über afrikanische Brüste. Noch schnell das Studentenfutter zugekluppert und bald liegen wir am Strand zwischen Dänen-Dünen. Dänische Gluckslaute über die Lautsprecher, ein krakeelender Kook im Ohr. Morgenspucke weggewischt, wir sind auf großer Fahrt. Yeah.

du schreibst wie ein zugvogel.

nicht wien. leipzig 06. ich treffe autorinnen.

0.
paula sitzt im zug.
paula muss.
nach leipzig und aufs klo.
viel lieber sitzt sie.
und hört zu
was die zugreisenden sagen.
und malt.
nichts besonderes. das kann sie nicht.
sie mal nebel.
ganz viel nebel.
so wie viele schreiben die nichts sagen weil sie nicht denken nicht klar
[seelenstriptease]
der alte zugreisende sagt puppi.
paula wäre gerne eine puppi.
aber eine intellektuelle.
die aufs klo muss.
weshalb das bild und die geschichte ein ende finden.
[oder doch]
durch ein dünnes rohr mit viel getös
zwischen die gleise.
paula ist glücklich
und wackelt mit den beinen.
es sind die kleinen dinge und die augen der anderen.
[und das gefühl dass du an mich denkst]

1.
Weiße Fliesen und zischender Milchschaum, draußen ist es nass. Das Café im Park. Nierenförmig und ungeheizt. Der Kaffee wird kalt während wir uns unterhalten.
Wir sprechen viel, du sagst mehr. Ich nicke und verstehe. Teilnahmsvoll. Kann deine Worte doch nicht zusammenfügen. Während du dich ausbreitest, dir Mühe gibst mich verstehen zu machen. Aber ich stelle dieselben Fragen. Mache deine Gedankenflüge nicht mit. Hinaus aus dem Parkpavillon.
Zwei Stunden reden wir. Das Band hat alles verstanden. Es dämmert.
Auf Knopfdruck erscheint dann Kommunikationshilfe. Ola und ein Chardonnay. Die Gesprächige. Erklärt mir das Röhrenradio. Dann Dieter. Dein Lebensgefährte. Dein Negativ. Abgeschmuddelter Künstler. Kind.
Was sind das für Leben die ihr führt?
In dem Moment indem ich dich als dich sehe, kann ich dich nicht verstehen. Ich denke so anders. Kann mich nicht verständlich machen. Was ist es, das uns so verschieden macht? Dich und mich und Dieter und Ola und die drei Podiumsdiskutanten später im NaTo und dann Christian. Höflicher Eigenbrötler, sagt nur nicht, dass er keine Lust hat.
Dann ist es Nacht und ich bleibe allein. Bei Kerzenschein esse ich Lachsnudeln und lese deine Texte. Verrückt. Skurril. Ganz anders als du. Wie ich.

2.
der über ihr dreht sich im schlaf als wollte er lieber auf ihr liegen
atmet lüstern sein schnarchen traumlust nach ihr
er bleibt auch morgens bis sie wach ist will mit ihr sprechen anbiedernde blicke
als er merkt dass sie böse ist tut er spöttisch als wäre nie etwas gewesen einbildung
selbst das schnarchen versucht er zu verbergen
was macht so einer was denkt der allein in der jugendherberge zu alt
über mädchen im stockbett als wollte er lieber auf ihnen liegen

3.
Ich muss mir diese Begegnungen merken.
Es begann umständlich, ohne Verbindung wussten er und ich nicht so recht. Komisch fern zwischen aufdringlich und übersensibel. Durch die Finger rinnender Sand. Nicht zu fassen. Und dann.
18:30 Turmweg. Ein kleines Landhäuschen. Persönlich. Christian per du. Freundlich nah. Ich bin nervös, muss warten, er lässt sich zuerst Zeit. Bis er richtig da ist. Endlich. Nach drei Tagen bereit für die Begegnung. Er erzählt. Ich bin gebannt. Verstehe ihn. So sehr man den eigentlich Fremden verstehen kann. Aber es funktioniert. Es stimmt. Ich stelle Fragen, er breitet sich aus. Schweift ab, erzählt viel Privates. Unbrauchbar für unsere Arbeit, aber ich unterbreche ihn nicht. Er erzählt es mir. Nicht dem Diktiergerät. Vergisst es vielleicht. Er redet. Wir sitzen eine Tischlänge entfernt und doch intim. Der Augenkontakt unterbricht nicht. Es wird dunkel. Dämmergrau im Raum. Die Augen schmerzen, nehmen schwer seine Silhouette auf. Egal. Versunken. Christian erzählt. Vielleicht sieht er einmal auf, macht Licht, zündet Kerzen an. Das Gespräch stockt nicht. Wenn er von Zeit zu Zeit an seiner selbst gedrehten Zigarette zieht und Rotes aufglimmt, nimmt das Tonband Spannung auf. Intime Momente. Einmal ist der Schmerz ganz deutlich fühlbar. Ich habe Angst, dass er weint. Dann scherzt er wieder, erzählt wie er fast mit einer IM ins Bett wäre. Du, du. Ganz vertraut. Dann steht er auf, kniet neben dem Couchtisch. Erzählt weiter. Irgendwann weiß ich, ich muss aufhören, auch er kann nicht mehr. Sagt es. Offen. Schließt ab. Mit einem Punkt. So intensiv ist alles, dass ich ausgefüllt zur Straßenbahn gehe. Wie kurz vor dem Gewitter. Noch Stunden später, raus aus Leipzig, Kilometer entfernt. Er ist ganz präsent. Soll es bleiben. Immer. Diese Begegnungen die die Welt still stehen lassen und ausfüllen. Die sie erklären. Die sind es einfach. Das ist es. Danke Christian.

nicht literatur. fußballberichterstattung einer la(izist)in

[über laizismus, laientum und fußbla: laie-ve]
[auf der suche nach z-art-h-art-ART-gerechter literatur]

es schaut so aus.
wir spielen in österreich. rotweiße trikots. elf spieler. die gegnermannschaft ebenso. ort und spieleranzahl unverändert. gute voraussetzungen. trikots türkisweiß. außerdem: zu viel rot wäre orientierungs- und zuordnungstechnisch problematisch. und aggressorisch.
so schauts aus.

vorspiel: die erste chance für österreich - kopf oder zahl. na geh, ivanschitz verliert. symbolisches 1:0 für die türkei.

aber: schön schauma aus.
faymann sagt: wir sind guten willens. alles schaut sehr gut aus, wir spielen sympathisch. die meisten sind in bewegung, das lässt hoffen. ich mache mein erstes bier auf. 1:0 für mich.
schön schön.

und ganz auf einmal. tatsächliches 1:0 für uns. uns, also wir, sind immer mindestens ich und mein bier (und hemdsärmeliger adornoscher patriotismus). in wirklichkeit steht das 1 anlässlich so eines jungspunds. aber insgesamt auch sehr sympathisch, sieht fast unabsichtlich aus. alle freuen sich.
überhaupt der torschütze.

ich und mein bier wir freuen uns auch. der spaß hat großes potential.

weil wir nicht so sind gibts dann einen ausgleich. zu gast bei freunden nämlich. die susi verlässt die viptribüne, die weiß es schon. uuuuuuund noch eins drauf. mit scharf. 2:1 für die türkei. weiters viel freude beim gegner. enttäuschte mienen bei uns und stefan der jetzt doch nicht bzö chef wird.

erste reaktionen in der halbzeit: ja. na gut. aber schön schauma aus.

weiter gehts.
in der pause habe ich privat ein 2:0 gescored. ich fühle mich fit, bin motiviert.
das ist wichtig. und dass wir schön ausschaun beim schaunschaun und seinschaun.
gut.

während die letzten spieler noch einlaufen ist der gegner mit seinem ball schon im tor. ja das 3:1. mein bier und ich können es nicht glauben. die trauerschleifen der österreicher nehmen neue bedeutung an. aber der hansi sagt das ist immer noch taktik. das haben sich alle so ausgemacht.

der moderator atmet ziemlich laut ein.

mir ist ein bisschen traurig zu mute. aber dann denke ich an unsere globalisierte welt und alles wird eher nebensächlich.

und dann liebe mitleserinnen. yes we can sagt oholzl. yes yes yes yes yes. jetzt wirken bier und proletoismus. schalalalalalalalalaaaaaaa. ein zweites tor für den sympathischen jungspund aus tirol. glaub ich.

nein aber doch nicht. mahe. das ist so dumm. ich trau mich nicht ein bier zu holen jetzt haben die gegner wieder ein tor geschossen. es ist ein erneuter triumph des falafels über das schnitzel. essensmetaphorik hilft den schmerz leichter zu ertragen. instrument der distanzierung. ich kann nicht mehr. für alle die nicht wissen was los ist - krapfen:kipferl 2:4.

ja - ich denke man sollte da noch ein bisschen stereotypisieren in der moderation. so ein bisschen auf satire. wenn wir das anders ansehen würden. so als kabarett, so irgendwie, dann würde das die stergrissedorfzuseher auch anregen heute einzuschalten. das wäre für den orf gut. und dann müssten sie nicht starmania aufwärmen. und mein zusehverhalten wäre intellektueller.

hoffer kommt knapp nicht hin. nein hölzl. nein wurscht. keiner kommt knapp nicht hin. niemand kommt hin. noch ein debütant. ja, wir spielen immer noch lieb, alles sieht tatschlich ein bisschen nach der opernballmitternachtsquadrille aus. mein herz.

so auf lange hand gesehen gewinnt meistens ohnehin die mannschaft, die mehr tore schießt, sagt man sich da ganz nüchtern. und doch auch hoffnungsfroh. ja, das ist fußball.

der moderator zieht schon wieder so dumm die luft ein.

soll ich jetzt noch ein bier öffnen? im serlesstrafraum fliegen schon die ersten leeren bierdosen. mein offensivspiel ist trotzdem besser als unseres. wieder patriotischer pluralis maiestatis.

türkischer konter HERST. AUF WAS HINAUS. brauchts net kontern HERST.

jetzt meldet sich meine blase zum corner. was tun. schwierige spielentscheidungen in der 79. minute.

meine berichterstattung wird fahriger. das spiel der österreicher nicht. das ist immer noch sehr sympathisch. schaut auch schön aus das weiß und das rot. überhaupt mit der komplementärfarbe des rasens.

unklar ist wieviel es im freundschaftsspiel serles:bier steht. die mannschaften vermischen sich.

der moderator ist ein hund. hebt grundlos hoffnungsheischend die stimme und lacht dann leise. man hört das sehr gut.

es schaut inzwischen so aus.
zwei minuten nachspielzeit. hillary, stefan und das bier sind moralische sieger. wir eher nicht. die türken sind halt gut. aber dafür können wir gut krapfen backen.

2:4 ist auch ein sehr sympathisches ergebnis. lauter gerade zahlen und vier ist durch zwei teilbar und insofern haben wir alle anteil am sieg. vielleicht muss unsere torwarteleve heute weinen. aber das ist psychohygienisch gesehen gut. schaut auch manchmal ganz schön aus.

gute nacht liebe zuseher ihr lieben. das war die berichterstattung. besser gehts nicht. das wars von mir. in kürze gehts weiter mit dem kasperl.

nicht wien. san francisco 08. ein amerikanisches märchen.

[trilogy on how it all began]

(1) it was june 21st and over the seas i came on a flying unicorn, enjoying the bliss of close physical contact with my dearest neighboring retiree, and bending time and space.
(2) june 21st had gained 9 more hours and through immigration i had passed, sweating but full of joy. waiting for the peculiar vehicle that was going to bring me to stanford. samtrans, public transport, it was going to be. my heart pounded.
(3) and there i finally was. stanford my love. let the play begin.

[trilogy on how it all ended]

(1) and the games end.
(2) it's almost the end of the eighth week. i've got a tan.
(3) good bye.

nicht wien. london 07. ein sommerlebensbericht.

[quintessenz der londoner schriftstücke]
[stimmungsberichte frei von der leber weg]

anreise. tag 1: lasagne aus pappkartons im flugzeug, die victoria line eine stunde northbound nach kingscross, ameisen im po und richtig durst. dann: den tonnenschweren koffer die great percy street hinaufziehen. wirklich great, wirklich steil. und noch mehr durst. schließlich: great percy street 68 aber keiner da außer stillende mütter im hinterhof. kurz geflucht, dann vom garage-guy gegenüber entdeckt worden, den schlüssel auf wundersame art und weise ausgehändigt bekommen.

also. immer noch tag 1: erkundungsreise in ein leeres haus. jedes stockwerk quasi ein zimmer, das treppenhaus kleiner als mein koffer und schließlich in fast schwindeligen höhen meine residenz. nur das badezimmer liegt noch höher. immer noch durst.

tag 1 will never end: meanwhile ist das haus voll geworden. ich begegne einem mädchen das im keller wohnt und nur ein handtuch trägt und einem verwirrten jungen mann der in der klebrigen küche zwiebel anbrät und matt heißt.

doch ende: morgen sage ich dann hallo zu london.

tag 3: had a shower. went out to say hello to london. had a blast just strolling along the river thames. saw the tower bridge, southwark cathedral, borough market, shakespeare's globe theatre, tate modern, millenium bridge, st paul's cathedral, the eiffel tower, taj mahal, chitty chitty bang bang and whatnot.

tag 4: was the day when harry potter and platform 9 3/4, the photographers' gallery and keith arnatt, chinatown and crispy ducks, soho and karl marx with burgers and crepes and camden town and vintage with frappucino and soap bubbles all at once cried for us. gave in to temptation and consumed it all. what a day.

jetzt heißt es warten bis der tee abkühlt.

tage später (ungezählt): yes indeed. starting to actually wholeheartedly love london. marking my territory, sticking posters and flyers to the walls of my room, orientating myself without a map, buying concert tickets, complaining about that nasty tube and eating fish and chips with vinegar and flapjacks. every morning the sun shines onto my face. it's summer in london. finally. on a side note: never forget crispy duck aestheticism in china town & gothic barbie aestheticism in camden town.

doch erst,

wenn man in london frühmorgens um acht mit kurzem kleid und regenschirm im roten doppeldeckerbus munter in richtung office hetzt, auf dem weg einen toasted bagel mit philadelphia bei mcdonalds verzehrt und dann bei all dem schnöden accounting und filing zu mittag noch schnell vom supervisor auf einen starbucks coffee eingeladen wird,

und,

quasi direkt vom bürotisch weg die stöckelschuhe gegen chucks tauscht um im pub nebenan architecture in helsinki zu betanzen,

dann,

ist man wirklich richtig
londonesk.

special feature, tag ungewiss: das 1-2-3-4 festival in shoreditch park im strahlendsten, wärmsten sonnenlicht londons for free. am hellsten nachmittag schwitzte sich die ein oder andere band die new wave outfits nass und nässer oder kochte im zirkuszelt bei 56°c. mit geschmuggeltem bier, noodles aus der box, cadbury eis und geborgtem klopapier ließ es sich für die werten zuseher aber gut leben und es bliebt genügend kraft sich in die erste reihe zu drängen und zu
tanzen
tanzen
tanzen.

in london ist es so: man verpasst kate nash, man verpasst jack penate, man verpasst the runners, aber man sieht an drei abenden cat the dog, the ghost frequency, charlotte hatherley, anna log (+ di gital), noah and the whale, peggy sue and the pirates, florence and the machine, feathers of seduction (good shoes) und the mules. wenn man gute ellbogen hat auch immer aus der ersten reihe. daneben und dazwischen gibt es poetry und trommler und floetenspieler in den ubahnstationen. aber wehe man will zu viel. um punkt zwoelf zaehlt london seine schafe. da kennt man nichts.

(end of name dropping)

besuche: halb eins liverpool street der vorvorletzte stansted express faehrt ein das maedchen mit shorts und kaugummi steht am bahnsteig und wartet die gaenge leeren sich niemand da.
zehn vor eins liverpool street der vorletzte stansted express faehrt ein das maedchen mit shorts und burgerking pommes und cola steht irgendwo zwischen cash maschine und securities und wartet ein tourist der es besser weiss und daher nicht fragen muss tut es trotzdem und fragt sie nach dem naechsten bus nach kings cross sie sagt noch 205 right up the stairs dann bewegt sich ein drehkreuz und der junge fuer den sie vorher noch den kaugummi gekaut hat ist da.
ploetzlich die pommestuete in der hand ihn umarmend moechte sie nicht mehr loslassen.
punkt eins liverpool street doppeldeckerbus oben und ganz vorne spiegeln sie sich mehr im fenster als sie von london sehen koennen.
von diesem moment rast das wochenende an ihnen vorbei.
fast forward werden morgens laut tueren geschlagen, philadelphia bagels auf die nase gesetzt und plaene geschmiedet, irgendwann ist das bad wundersam sauber und der muell entsorgt, aber die mitbewohner sehen sie nie.
london ist eine einzige shoppingstrasse, ein bisschen uebertraegt sich der einkaufsstress auf gemuet und beine. und kurz wuenscht man sich doch wieder fuer sich zu sein. bett und decke sind selbst quer zu klein und einer muss auf tshirts schlafen.
aber dann sind da noch ein kitschig ueberbordender flashback in time in der wallace collection, die rokoko schaukel und freude ueber oudry, hunde im hydepark die weder sticks noch kinder dafuer einander moegen, pseudoromantisches blaulichtboot und guinness vor dem london eye, poetry balladen im luminaire und fosters auf dem randstein einer bus lane, tausend und ein burger gemeinsam hinuntergeschlungen und dann satt und zufrieden, hundert fotos die nur zehn wurden, intuitionsubahnfahren, nachmittagsschlaf im schwulen soho park und eine pubtour die zu frueh endet weil ganz london muede wird.

schlussendlich: nur auf der oxfordstreet erscheint mir london ohne romantik-poetik-literarizitaets-kondom. ueberall sonst werden makel zu schrulligkeiten. schreibstil und -inhalt aller folgenden gedankenverschriftlichungen sind und bleiben wohl also so. deshalb und weil marx in soho und dickens in camden town gelebt hat. haben. gute nacht.

tag in der zukunft: for informational purposes: i am fine. the weather is nice. the music is good. the money is gone. my english has not improved too much yet.

correction: the weather is crappy.

ein tragischer tag im september: no water. no heating. i had a nice dingadong yesterday (kudos to all those lovely brownies) but then – all of a sudden, to my utter surprise and shock – was not able to flush. after i had decided to stand my man and not to hide in my room pretending that it had been matt once again, i poured the remaining drinking water and half a litre of the milk i had just bought into the loo, but wasn’t released. end of the story.
(i finally managed to flush at 1 am though)
(after i had finished reading the last volume of harry potter)
(you could probably say that i also flushed away my childhood that night)
(together with some shit and milk)
(how beautiful is that)

laundry: a bright yellow room, the guardian in my hands, it’s raining cats and dogs outside. afterwards: hanging the damply clothes on a red washing line throughout and across the room. can’t go to the loo anymore because the doorknob is involved as essential support point.

the slamming of doors in the morning and the remaining poo in the loo is about as much as i get to hear and see of my neighbours. bu-ut i got the chance to talk to matt a little bit while i was cooking, which, although i was just boiling water to cook spaghetti [gas stove defloration baby], lasted for one long but quite informative hour. yes, of course, matt’s in a band, and yes of course he earns his living as a booking agent, and yes yes yes of course he knows all the funky places, and all the hip venues and all the not big yet but very soon blowing up bands. how could i have ever doubted it. i ended up with horrible noodles cooked to rags, but also with a whole list of recommendations and a new friend who calls my bathroom in the attic anne frank’s bathroom and said i could always knock at his door again. hell yeah.

revelation day 75432: there must be something in the air or the acid rain in london that about everyone is in a band. it’s only after three weeks that mary and kate have raindrops falling on their heads and singalong-strolls through the night. oh boy mary can sing and kate looks like mary poppins.

und der tee von zu beginn ist seit tagen getrunken.

august der achtundzwanzigste: beim warten auf das crystal castles konzert hätten wir fast dan deacon verpasst. folgendes szenario: die reihen vor der bühne lichten sich, minuten später verwunderung der drei musketiere in der ersten reihe über fernbleiben der menschenmassen, man scherzt noch über rauchpausen, müde engländer oder ein konzert im nebenraum. bingo. wir finden besagten raum und uns am ende rund um dan deacon als wham city chor wieder. die großartigste performance bisher. noch vor crystal castles sind wir nass geschwitzt und überwältigt. gut so, denn der hauptact ist verrückt aber auch kurz.

krank sein in england: der gemeine schnupfen ist dauerzustand. in den bei jeder witterung klimatisierten büroabteilen abgegrenzt durch hüfthohe trennwände verteilen sich die erreger mühelos, die zeit lässt sich in niesern bemessen. da hilft auch der eimerweise konsumierte tee nicht. eventuell wird auch der heimische boiler kaputt und man duscht sich tagelang mit eiswürfelkaltem wasser. wenn nicht von der rax, so aus den tiefsten tiefen des meeres. aber wenn man die augen schließt und wenn man sich ganz fest vorstellt es wäre kochend heißes wasser… nein. der einzige spaß dabei ist das unkontrollierbare stöhnen und aufschreien der mitbewohner. (und der handwerker der wirklich mehr poritze als hose hat und 200 pfund für die diagnose allein verlangt) weiters: die romantisch weiß getünchten schiebefenster sind leider wirklich original viktorianisch und seitdem nicht mehr dicht, es ist ständig feucht und die mode trotzdem sommerlich. blöd eben. und prompt bin ich von schnupfen husten heiserkeit geplagt, lasse mir von mitarbeitern heiße gemüse-scharf-marokkanisch-bohnen-hühnerbrühen-suppen und tee machen und krieche freitag nachmittags demütig einige stunden früher als sonst nach hause und mit zwei pullovern übereinander ins bett. von dort aus wird dann mighty boosh geschaut und kartoffelmash gegessen. ich verdanke es nicht zuletzt der womöglich bei uns nicht zugelassenen englischen medizin die es einfach so rezeptfrei per selbstbedienung bei boots zu holen gibt, dass ich samstag abend wieder munter backstage herumhamstern kann.

memoiren eines kookskonzerts: tickets gibt es keine, man versucht es bei toby, dem organisator. das glücksbärchen ist gut gelaunt wie immer, schüttelt lächelnd den kopf und sagt: intimate gig, sold out, but try at ten if you want to. katharina und maria fühlen sich verhöhnt und setzen sich traurig ins pub nebenan um einbruchspläne zu schmieden. abertausende roadies und journalisten schwer von backstage passes um sie herum sind ironisches ornat ihrer situation. drei alte bauarbeiter am nebentisch erbarmen sich ihrer und lassen hoffen aufgrund bbc connections karten ergattern zu können. die bbc connection ist wirklich wahr, der rest nicht. karten gibt es wieder keine. vollends absurd wird die situation mit kooks setlist ausdruckenden jünglingen am nebentisch, dem kooks album aus den lautsprechern und einer vermeintlichen glücks-plastik-perle aus dem klo des famous cock im büstenhalter. schlange und bouncer vor der tür der buffalo bar bedeuten einmal mehr: no chance to get in for katharina and maria, die viel viel lachen, bier trinken und innerlich schon weinen.
und dann: steht toby an der bar. einfach so. und da alle gefinkelten einbruchspläne im sand verliefen, nimmt katharina allen mut zusammen und die beine in die hand und nähert sich toby leise von hinten: sie: sorry to be a pain again, but do you reckon there is a chance to get in? er: yeah, just try at ten and if you've problems getting in, just say you're tracy and paula from rockfeedback. katharina kann kaum noch stehen als sie sich zu ihrem tisch rettet. das herz schlägt wie wild, der eintritt scheint so nah, die paranoia melden sich zur stelle. adrenalin. plötzlich ist es nach einer minute schon eine stunde später und sie versuchen ihr glück. paula and tracy from rockfeedback. und wie von zauberhand und bei ali baba weichen die bouncer zur seite. der weg ist frei. vor glück innerlich schreiend stehen die mädchen in kürzester zeit in der ersten reihe. die schwitzend stinkende menschenmasse hinter ihnen ist vergessen, das konzert ist ein einziger höhepunkt. am ende taumeln die beiden vollkommen nass geschwitzt durch das nächtliche london. den ganzen folgenden tag plagen katharina unkontrollierbare lachmuskelkontraktionen.

es geht aber auch so: justice im koko. der bass lässt unsere gehirnflüssigkeit schäumen, das militant blinkende religiöse symbol sowie das stundenlange strobe light right into our faces sorgen für langzeitschäden. der teppichboden im koko stinkt. wahrer enthusiasmus erst als es zu ende ist.

stichwort.

tag ende: zu hause.

[abrupt aber wahr]