2014-07-07

erinnerungen abzählen


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Das Dröhnen der Turbinen löscht die Sprache aus. Kein Ton. Darüber Möwenstillstand. Das Schweben, Strömen und Gleiten eines Reiseschweigetags. Wortlos weil sprachlos im Auto, Gs flüchtiges Lächeln des Verstehens (vielleicht) über deine kindliche Freude. M empfängt dich mit großer Geste. Ab morgen im Kopf wohnen, den Tag mit unklaren Gedanken füllen. Du spielst von fremden Ländern und Menschen, spürst M andächtig in einer Ecke der Grotte, der Wein klebt traubig auf der Zunge. Auto rollt über Kies. Das Haus füllt sich, der Traum verfängt sich im Mückennetz. 

1
Hitze staut sich in Dorfwinkeln. Wäscheleinen ranken sich durch Tourismusidylle und Kulissenschluchten. In Wartehaltung eines Sonnenbrands Wegesranderzählungen bunter Hier-und-Dort-Leben. Ästhetik-Diskussion (unwillig) beim Essen. Dann zischende Fußsohlen auf den ersten Strandmetern und endlich Meer. Die Uhr? Die Zeit läuft. Die erste Begegnung mit der bildenden Künstlerin im Klee. Du korrigierst deine Lautstärke.

2
Du verirrst dich, stolperst über Berg und Tal, in ein Auto zweier braunfaltiger Italienerinnen mit Bindi an der Stirn und Dackel zu deinen Füßen. Später Käferbrummen, Möwen schrecken auf, G stapft vorbei. Eine Spinnwebe spannt sich über die Wiese, blitzt schwingend in der Sonne. Die Nase immer in den Grasspitzen, am geschäftigen Treiben der Ameisen. Bier wird gekühlt. M dreht die Messerklinge nach innen.

3
Frühes Erwachen, Erinnerungen an Kindheitssommer. Traumwarme Fußsohlen auf spröden Tonfliesen. Du hast dir ein Sonnenbänkchen gefunden, hoch über den Weinbergen. Die Haare bleichen von der Stirn aus. Wenn sich bloß Weisheit vorwagte – vom Frontallappen in die Haarspitzen. 
T, M und K lachen schallend zu ihren Kanonenschusspointen.
Du brennst ja gar nicht so für die Wissenschaft, sagt M.
Das Meer kündet nichts. Unwetter war versprochen, den Himmel kannst du nicht lesen. Ins Heft fallende Haarnadeln stören den Schreibfluss auch nicht eher als die viel zu schnellen Gedanken. 

4
Du hörst Schritte. Lieber kein Blick. Der Blick macht die Geschichte. Hätte sich das bloß noch niemand gedacht. Das Bedürfnis, dich zwischen Worten und Zeilen und Erinnerungen konstruiert zu finden. Das im Kopf bleiben. Im eigenen Kopf. Die Unzufriedenheit darüber. Die Zweifel am Ausdruck. Eine Ameisenstraße Zweifel. Durch Regentropfen klingt ein Saxophon. Die Feuchtigkeit die uns bleibt. Die Kondome im Schweizer Vorsorgeschrank. 

5
Pünktlich wird das Essen serviert, werden die Plätze eingenommen. Wird das ewig gleiche süße Frühstück viel zu lange schweigend absolviert. Niemand, der wild geträumt hat. Zwischen Panna Cotta hängen sie ihren Ideen nach. Dein Rock weht Felsenwärme davon, du hältst die Weste fest, spürst Salz und unmögliche Romantisierung im Gesicht. Kauern auf der Klippe, der Kaffee neben dir (Haltbarmilch) längst kalt. Der Felsrücken prägt sich in deinen Körper. Formengedächtnis.

6
Du suchst Inspiration in der Jazz-Grotte und findest minutenlanges Innehalten. Beobachtest zwei, die einander verstehen. Gleich anschließend die entrückte Ruhe von Blatt und Holz und Licht am Fenster bei M. Ein Vogel klopft an. Aussicht auf Weinberge, Wellenglitzern, angebrauchte Wasserflaschen auf dem Anwesen verteilt. Rauschloses Vorüberrauschen der Zeit entlang Wellenspiel. Die Stille zwischen den Wellen ebenso lang wie dieses Jetzt. Wohin die Quallen wandern? Wer sie in der Nacht findet? Eine Berührung, du schreckst auf. Und hast schon dreimal mehr gedacht als geschrieben. Annäherungen gehen immer nur so weit. Und Schritte auch zurück.

7
Das kleine Wo-bin-ich? Du machst dich morgens mit Schlaf im Auge auf den Weg zum Felsen. Schwimmst deinen Luftblasen nach und voraus, hast die Gefahr schon gesehen (aber wo lauert die nicht) und kurz vor Schluss fluchst du den Schmerz und die Panik vor mehr (Meer) an Land. Q begegnet. Wie die Möwen bist du von da an konstant alarmiert.

8
Das gestrige Gespräch im flackernden Kerzenlicht, das eigene auf den Tisch hauen, die weinselige Argumentation im Kreis. Die Nachwehen und alles Vergessen am Frühstückstisch. Es ist ein Sprechen, das von sich ausgeht und immer zu sich zurückkommt, es ist ein witzelndes Ausschließen anderer Wahrheiten. Das Leben hier, wo für alles unsichtbar gesorgt wird, macht es uns leicht und schwer einträchtig zu sein. Dir ist nach Konflikt. Wir sind alle Egomanen, sagt K. In Ks Kopf sortieren sich Gedanken anders.

9
Die Zeit einfassen. Die großen Erzählungen finden. Wenn bloß T mit seinem grünen Band auch die Stunden dehnen könnte. Abends am Strand die Blicke von außen auf ihre kleine Gruppe. Der Vater, der die Rechnung vorgelegt bekommt. Wir teilen jedes Getränk genau. Denken und sehen mit gespaltenem Blick. Ästhetik des Disparaten. Die Ameise auf meinem Blatt ist angeschlagen, es fehlt ein Fühler und ein Bein. K M T M K. Dem Comiczeichner wäre vieles lieber synkopisch, das Uhrwerk seines Auchnichtanderskönnens läuft präzise.

10
In der Nacht leuchten Luftblasen wie Glühwürmchen im Meer. Der Sternenhimmel beim gewollten Loslassen. Das ausweichende leise Wissen am nächsten Tag.

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Ich möchte mich erinnern an das Lachen der Musiker beim Proben, an M beim Krimilesen am Strand und Melonenschneiden in der Küche, an Ms ‚Dangschön‘. Das Meer in der Nacht, das Sitzen der Möwen am Dach, Pingpong! Karten! Pfeifkonzerte! Musik des Pulsmessens! Fußball! Dinner is served! Wir gemeinsam an Stränden, in Autos, vor Bildschirmen. Wie die Ameisenstraße der sich stets berührenden Ameisen, wir beim Aufdecken des Mittagstisches. Was fehlt noch, haben wir genügend Löffel? Der schmale und weite Grat eines WIR. Gesprächsfixsterne. Wir finden unseren Baum.

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Das sich Suchen im Neu, im toten Winkel der Selbstbespiegelung ein instabiler Zustand, hat mehr Zeit und Kraft geraubt als gedacht. Ergebnis nicht qualifizierbar. 4 Kontakte. Ein paar Seiten Tagebuch-Text, künstlerische Verwertung unsicher. Gute Zentimeter Lektüre und Abschrift, die ersten braven Post-Its auf dem Kasten, der Schmalz im Gästebuch. Die Traurigkeit über ein zu wenig, zu kurz, zu schön. Am Ende lernen die jungen Möwen fliegen und wir sehen es nicht mehr.

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Wie Elba verlassen, wie den Klang der beiden Wochen möglichst lange mit nach Hause tragen. Wie wieder Alltag vorfinden? Im Nachhinein sehe ich mich stets wieder auf diesen Klippen sitzen, liegen, stehen. Vor wolkenverhangenem Hokusai-Berg, vor Mondrian-Meerausschnitten durch Pinien. Ich laufe wohin Begegnungen mich tragen.