Über Verfügbarkeiten von Körpern und Diskursen
Wenn etwas zu lernen ist, aus den vertrackten und desillusionierenden Entwicklungen, Enthüllungen und Positionierungen rund um die Themen (struktureller) Sexismus, geschlechtsspezifische und sexuelle Übergriffe in Österreich (und darüber hinaus), dann, dass wir uns wohl noch lange weiter durch unsere eigenen Untiefen, Abgründe und Unzulänglichkeiten wühlen müssen, dass es weiterhin Nebenwidersprüche, Unauflösbarkeiten, Missverständnisse und strategische Verunklarungen geben wird, bis eine erkenntnistheoretische Sprache dafür entsteht – und ein Raum, der das Sprechen darüber ermöglicht. (Die gestrige Diskussion zum Thema in der Sendung „Pro und Contra“ auf Puls4 hat das Nichtvorhandensein dieser Sprache eindrücklich vorgeführt.)
Das ist vielleicht eine resignative Null-Erkenntnis, die mich aber gleichzeitig ermächtigt, doch noch eines draufzusetzen. Ebenfalls beizutragen zum Diskursnebel. Nichts anderes ist auch die Motivation für diesen Text. I am grabbing this Gelegenheit by the pussy, um einem Gelähmt-Sein entgegenzuarbeiten, um mir Diskursraum zu nehmen, um über Redemacht zu verfügen, wie andere über andere Körper.
Für mich lässt sich das vorliegende Problem nämlich auch als Verfügbarkeitsschere in diversen Machtgefällen fassen. Es gibt wohl in den meisten Biografien Momente, in denen wir der Ansicht sind, über andere psychisch und/oder physisch verfügen zu dürfen. In denen wir das Gefühl haben, die Integrität eines anderen buchstäblich oder metaphorisch ‚angreifen‘ zu dürfen. Diese gedacht-gefühlten Verfügbarkeiten erweisen sich mal als gesellschaftlich gewachsen, strukturell und latent/unbewusst, mal als punktuell eingenommen, strategisch und manifest/bewusst. Zumeist verfügen die Verfügenden auch über die Diskursmacht, ihre An- und Übergriffe weg-argumentieren oder normalisieren zu können. Diese doppelten Verfügungen sind damit unansprech-, unantast- und letztlich unsichtbar („Die Grenzen meiner Sprache...“).
Das primäre Problem liegt übrigens nicht in der Schwierigkeit eines juristischen und/oder gesellschaftlichen Konsens darüber, was sexuelle Übergriffe sind, und dass/wie wir ihnen begegnen oder sie verhüten wollen. Das eigentliche Problem ist ein diskursives. Und es liegt in den Grauzonen der Verfügbarkeiten. Liegt darin, sie (sofort) erkennen und analysieren zu können. Der Aufruf zur Gegenwehr, das ‚Hätte-der/die Betroffene-doch-einfach-direkt-etwas-Gesagt/Getan‘ ist dort hinfällig, wo es um eine Gesellschaft geht, in der für das ‚Einfach-etwas-Sagen‘ keine Sprache und für das ‚Einfach-etwas-Tun‘ kein Raum existiert. Auch nicht existieren kann und soll, weil jedes auf Machtgefällen basierende System dann zusammenbräche.
Ich war zwei Mal als Stipendiatin und drei Mal als Vorstandsmitglied der Initiativgruppe Alpbach Wien am Europäischen Forum Alpbach. Wir wussten von sexistischen und sexuellen Übergriffen, wie sie in einem gesellschaftlichen ‚Brennglas‘, wie es das Forum ist, vorkommen. Wussten davon so, wie man weiß, dass sie ein tatsächliches gesellschaftliches Problem sind. Wie man sie selbst durchaus schon einmal erlebt hat. Dass Machtgefälle zwischen Menschen ausgenützt werden, ist leider wenig überraschend. Dass etwa die Möglichkeit zum Alkoholkonsum oder eine anderweitig aufgeladene Stimmung (unterschiedlichste Intentionen und Backgrounds treffen auf kleinstem Raum aufeinander) ihren Teil dazu beitragen, leuchtet auch ein. Und wie häufig war auch in Alpbach nicht eine zweifelhafte Haltung gegenüber strafrechtlich Relevantem das Problem, sondern – siehe Welt – die Salonfähigkeit der ‚Blurred Lines‘. Es bräuchte einen Sprech- und Energieaufwand in der Größe des Œuvres von Elfriede Jelinek, um hier erfolgreich laut zu werden. Um jede dieser ‚verschwommenen Linien‘ zu verfolgen, zu analysieren und zu diskutieren, bis sie klarere Konturen annimmt. Und weil das kaum eine_r aufbringen kann/will, maßregelt man sich vorauseilend selbst. Bequemt sich. Erstarrt apathisch und überlässt den Vereinfacher_innen das Feld.
Von Stipendiat_innen-Seite haben wir unsererseits mit der Forderung nach einer Ombudsperson, der Durchführung einer Diversity-Kampagne und der Etablierung eines punktuellen "Women's* Forum Alpbach" versucht, institutionell und sensibilisierend etwas gegenzuhalten (eine Ombudsperson für Stipendiat_innen wurde auch ab 2014 benannt), allerdings war ein 'Lautwerden' in diesem Zusammenhang – wie ebenfalls gesamtgesellschaftlich beobachtbar – nicht immer gern gesehen. Zu groß die Angst, hier würden Menschen unnötig aufgerührt/abgeschreckt, hier würden Diskurse vermischt, beziehungsweise etwas aufgeblasen. Hier würde falsch verstandene oder überdosierte ‚politische Korrektheit‘ das Zusammenleben verkomplizieren. Ich lese Haltungen wie diese aus kritischen Reaktionen auf Kampagnen wie #aufschrei und #metoo und ich respektiere, aber teile sie nicht. Ich glaube, Unbequemlichkeiten und Verkomplizierungen sind ein Weg zu größerer Klarheit.
Es hilft nicht, sich vor einer Denunziations- oder politisch-über-korrekten Verbotsgesellschaft zu fürchten, wenn man gleichzeitig nichts dazu tut, einen offenen, facettenreichen Diskursraum zu gestalten. In dem Abgründe und Uneinigkeiten eben auch benennbar werden. Ich nehme hier keine der vielen Seiten aus: Auch ein Shitstorm gegen #metoo-Kritiker_innen ist wenig dienlich, operiert er wiederum mittels eines ‚Über-den-Mund-Fahren‘ und führt zu Lähmung und/oder Verstummung.
Zuletzt noch zum aktuellen ‚Fall‘: Dass 2013 eine junge Frau im ersten, als ‚safe space‘ konzipierten „Women’s* Forum Alpbach“ von einem ihr gegenüber gratwandlerisch-übergriffig agierenden Politiker berichtet, ist schlimm. Dass die Zuhörenden sich einig sind, dass diese Gratwanderungen im Allgemeinen einerseits genau platziert und bewusst gesetzt sind und andererseits von einer breiten Masse sowie durch unsere gemachten gesellschaftlichen Strukturen toleriert werden, ist schlimmer. Dass damals und in den Jahren danach, das Schweigen und allein Verarbeiten dem Opfer als einzig gangbare Option erscheint, ist schlimm. Dass das Brechen seines Schweigens 2017 dann (auch nur potentiell) als parteipolitische Intrige ausgenützt und/oder diskutiert werden kann, ist schlimmer.
Mich schockiert in diesem Zusammenhang nicht im Besonderen, dass Täter_innen sich nicht zurückhalten können, oder nicht wissen (können), wann Grenzen überschritten wurden, sondern dass sie genau damit spielen und bewusst wie unbewusst auf die in ihrem Dunstkreis erwachsenden Grauzonen der Verfügbarkeiten bauen. Die Perfidie ist nämlich nicht, dass jemand über einen anderen Körper verfügt, die Integrität eines anderen angreift, indem er/sie seine/ihre Machtposition ausnützt. Die eigentliche Perfidie ist, dass diese Machtposition die klare Sicht auf die Dinge versperrt, eben keine Sprache und keine Agency für Ohnmacht zulässt und damit die Gegenwehr verkompliziert. Die Hand, die einen füttert (und gelegentlich vielleicht einmal streichelt), lässt sich gar nicht beißen. Sie darf diese Möglichkeit gar nicht von sich aus enthalten, damit sie füttern (und streicheln) kann. Der Zynismus, der hier aus dem mühelosen Changieren zwischen ‚Stell-dich-nicht-so-an‘ (‚Ist doch nur ein Zitat‘, ‚So spreche ich eben‘) und ‚Hättest-du-einfach-etwas-gesagt‘-(‚Wieso kommt das jetzt 4 Jahre später?‘)-Haltungen spricht, der schockiert mich. Und dem kann ich momentan nicht anders begegnen, als ihm dieses ‚Dann-eben-kompliziert‘ entgegenzuhalten.