2009-08-14

doch eine rezension. der jüngste tag (ö.v.horvath) - theater in der josefstadt

Das Behagen in der Kultur
von Katharina Serles

Weil der ehrbare, gewissenhafte Stationsvorsteher Hudetz vom Kuss der Wirtstochter Anna abgelenkt ein Signal zu stellen vergisst, entgleist Eilzug Nummer 405, sterben 18 Menschen. Während Hudetz behauptet, das Signal gegeben zu haben und dabei von Anna unterstützt wird, klagt ihn seine Gattin, Frau Hudetz, die Kuss und Versäumnis beobachtet hat, an. Von hier aus entwickelt sich ein Ambivalenzkonflikt zwischen Schuld und Unschuld, Gewissen und performativer Einflussnahme der Gesellschaft.

Die Inszenierung Ödön von Horváths „Der jüngste Tag“ von Philip Tiedemann am Wiener Theater in der Josefstadt (Premiere 28.02.2008) ist an Spießigkeit nicht zu übertreffen.

Dabei wird alles aufgeboten was das Theater zu bieten hat, ein prallgefülltes Bühnenbild (Etienne Pluss), historische Kostüme aus den 30ern (Stephan von Wedel) und eine bedeutungsschwangere Geräuschkulisse zwischen Echo und Leierkastenmusik (Ole Schmidt). Der Plan geht aber nicht auf, die Inszenierung kratzt höchstens an der Oberfläche. Das ungemein konservative Bühnenbild ist hübsch hausbacken aber langweilig anzusehen. Die klaustrophobische Enge des bürgerlichen Klein- und Kleinstraumes (die Drogerie als kleiner Würfelraum im Bühnenraum) ist gut umgesetzt, die vielen Details verstellen aber einen eigentlichen Blickpunkt, lösen in ihrer Überladenheit feine Bedeutungsnuancen auf. So wird das Kalenderblatt an der Küchentür nebensächliches Dekor, die ständig sichtbare Ampel einfallsloses „no na“-Requisit. Wenn dann noch immer wieder Schienenmusik und Zugsignale erklingen, damit der unsichtbaren Figur „Zug“ Rechnung getragen wird, ist das alles andere als produktiver, innovativer Umgang mit der Vorlage, das ähnelt ÖBB-Fernsehwerbung.
Aber es kommt noch schlimmer. Anstatt hier wenigstens konsequent konservativ zu inszenieren, gibt es versuchte Momente der transzendenten Bedeutung und abstrakt modernen Umsetzung: Die traditionelle Guckkastenbühne ist grellweiß klinisch eingerahmt, ein grellweißer Streifen trennt auch Proszenium von Vorderbühne und symbolisiert… die Zwischenwelt der Geister? die Leerstelle Bahngleis? In den Wirtshausszenen wird sie von einem roten Läufer überdeckt um von den Dorfbewohnern bespielt zu werden, die Symbolik bleibt trotzdem unklar; im besten Fall entspricht die neonweiße Umrahmung des altmodisch-biederen Kerns dem Horváth’sche Jargon: der Dialekt, das „Milieu“ in der Sprache, soll entkitscht und überdeckt werden. Im besten Fall.
Es hapert zu sehr an allen Ecken und Enden. Dem zahlenmäßig starken Aufgebot an Schauspielern ist spielerisch wenig individualisierte Charakterisierung abzugewinnen: Allen voran besticht August Zirner, der gefühlsmäßig zu alt besetzte Hudetz, durch Farblosigkeit und eine Unentschlossenheit, die nichts mehr mit ausagierter Ambivalenz und innerer Zerrissenheit zu tun hat. Hier fehlt es an tiefer Auseinandersetzung mit der Figur. Auch Eva Mayers dramatisch-verletzliche Burgtheater-Interpretation der sonst eher bodenständigen Kellnerin Leni ist ein glatter Fehlgriff. Zwischen den steifen Figuren steht nur noch die Horváth’sche Stille. Aber auch die ist ins Endlose gedehnt ohne zu wirken wie sie soll: aufgeladen mit der Spannung des ständigen inneren Widerstreits. Stattdessen: Bemühte Leere.
Furchtbar bemüht wirken auch die Echoeinsätze im zweiten und siebten Bild, die die Stimmen bis zur Unkenntlichkeit verdoppeln und verzerren, die rätselhafte pantomimische Todesengelsfigur, die aussieht wie der Staatsanwalt (Alexander Strobele), und schließlich die Christusreferenz beim Selbstmordversuch Hudetz’, der sich wie der Gekreuzigte an den Bühnenrand legt, bevor er, in dieser Inszenierung wohl geläutert, wieder auf(er)steht. All das steht in krassem Widerspruch zur restlichen Inszenierung, fällt irgendwie aus dem Rahmen, wirkt zu stark gewollt und dabei jede Form von tatsächlich tieferer Bedeutung und Interpretation meilenweit verfehlend.

Leni: Man tappt noch im Dunkeln.

Es gibt sie dennoch, die kleinen Lichtblicke in der zweieinhalbstündigen Aufführung. Nämlich immer dann, wenn Tiedemann wagt zu interpretieren: Wenn sich das postkoitale Pärchen Ferdinand (Martin Bretschneider) und Anna (Maria Köstlinger) unter die Oberteile kriecht oder ein Dialog zwischen Alfons (André Pohl) und Frau Hudetz (Marianne Nentwich) zum vokalischen uaaeoä-Gesang dekonstruiert wird. Überhaupt beginnt die Inszenierung stark, da stakst Hudetz wie ein Wettermännchen mehrmals aus seinem Wärterhäuschen und wiederholt die Signalstellung in immergleicher Choreographie, da brausen durchfahrende Züge quer durch den Zuschauerraum (das Proszenium ist der Bahnsteig, also führen die Gleise direkt durch das Publikum; fahren die Züge durch, wird der Saal völlig abgedunkelt) und antizipieren so den Moment des Unfalls.
Schön auch, wenn Komik in Unbehagen umschlägt: Wenn die Aufziehpuppendorfgemeinschaft unter Marschmusik im Gänsemarsch ins Gasthaus einzieht und tatsächlich ein kleines Mädchen brav das Gedicht aufsagen darf, sodass das Publikum ganz Dorfgemeinschaft wird und wohlwollend applaudiert, oder der Walzer von Anna und Hudetz immer schneller und die Musik immer atonaler wird, bis sie sich beinahe ringend umeinander drehen. Hier wird endlich fühlbar was eigentlich Thema des 1936 verfassten Schauspiels ist: Wo steht das Individuum zwischen bürgerlicher Moral, dem eigenen Gewissen und dem gesellschaftlichen Druck von außen: Hudetz und Anna tanzen ein Ringelreihen des Gewissens. Das Schuldgefühl, das bei Freud die Kultur konstituiert, konstituiert bei Horváth die spießbürgerliche Dorfgesellschaft, die die Außenseiter, Sündenböcke und Unschuldigen braucht um überhaupt Gesellschaft zu sein. Leider ist das Freud’sche Unbehagen in der Kultur von Tiedemann im Großen und Ganzen zu behaglich inszeniert. Dem Publikum wird ein gefällig beschaulicher Abend geschenkt, die Augen fallen aber trotzdem immer häufiger und länger zu und der jüngste Tag wird in der gesamten Inszenierung ganz bestimmt nicht eingeläutet. Eine ambitionslose Umsetzung

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