Ein subjektiver, mit Spoilern gespickter Rückblick auf Inception (2010, Regisseur Christopher Nolan)
von Maria Szmit
Our revels now are ended. These our actors,
As I foretold you, were all spirits, and
Are melted into air, into thin air:
And like the baseless fabric of this vision,
The cloud-capp'd tow'rs, the gorgeous palaces,
The solemn temples, the great globe itself,
Yea, all which it inherit, shall dissolve,
And, like this insubstantial pageant faded,
Leave not a rack behind. We are such stuff
As dreams are made on; and our little life
Is rounded with a sleep.
(Shakespeare,The Tempest)
An dieser Stelle soll Sigmund Freud nicht einmal erwähnt werden. Weder dessen Annahmen über die Verdrängung sexueller Wünsche und deren Manifestierung in wirrer Traumsymbolik, noch soll der überaus beliebte bildliche Vergleich der Spitze des Eisbergs herangezogen werden, die als sichtbarer Teil des Bewusstseins im Meer der Möglichkeiten über den hilflos dahintreibenden Korpus unverarbeiteter und vorbewusster Materie hinwegtäuscht. Ein Eisberg spielte ja auch die heimliche Hauptrolle im bis vor kurzem erfolgreichsten Film aller Zeiten (bis bläuliche 3D animierte Wesen die Bildfläche betraten, double strike für Cameron), dessen damals und heute wahrscheinlich noch immer von unzähligen jungen Mädchen angehimmelte Protagonist Dicaprio in einer ergreifenden Szene nach einem letzten Blick in die Augen seiner Geliebten von den Untiefen der atlantischen See verschluckt wird. Nun über 10 Jahre später, Leo erwacht wieder am Strand, umspült von den sanften Wellen seines eigenen Unterbewusstseins, Ellen Paige alias Ariadne in die Augen blickend, die ihm helfen soll den Weg durch das Labyrinth der eigenen Verdrängungen zu finden bzw. den roten Handlungsfaden in diesem Action-beladenen Thriller im psychologisch-philosophischen Deckmantel zu bewahren.
Inception, das Vordringen zum Grund der eigenen Psyche, Traumwandeln, gaze into the abyss and it will gaze right back into you. Leo bzw. Cobb hat sich Nietzsches Worte zu Herzen genommen und lustwandelt in bzw. ballert sich durch eigens konstruierte Traumwelten, Psychoanalyse meets Matrix. Virtuelle Welten, zusammengesetzt aus realen Erfahrungen, Eindrücken, Erinnerungen, treffen auf Traumlogik und werden progressiv gesteigert bis zum Selbstverlust in den unendlichen Weiten des Limbo, einer sich konstant de- und rekonstruierenden Wirklichkeit. Diese stellt zugleich das letzte Level der Inception dar, der Reise zum Mittelpunkt der Psyche oder an die Basis des Eisbergs – und warum das Ganze? This is not your usual espionage, meint Cobb zu seinem zwielichtigen Klienten, im Grunde aber vielleicht doch.
Ja, die Grenzen von Wahrnehmung, Zeit, Physik werden ausgedehnt – irgendwo auf der temporalen Achse von Traumzeit im Film, der Ausdehnung entlang der verschiedenen Levels im Traum (10 Sekunden im Level 1 = 1 Stunde auf Level 3 oder so ähnlich) und nicht zu vergessen der tatsächlichen Dauer dieser Ereignisse im Film verliert der Zuschauer tatsächlich jegliches Gefühl für zeitliche Einheiten. Unterstützt wird diese Wahrnehmungserweiterung- oder Zersetzung durch visuelle Kunststückchen vom Feinsten, sei es das Sprengen und bildliche Zerbröckeln konstruierter Welten, Spaziergänge durch ein gespiegeltes Paris, Wägen, die in Zeitlupe von Brücken stürzen oder Kampfszenen, die im schwerelosen Kraftfeld ballettartige Züge annehmen.
Nicht zuletzt die zentrale Frage, welche sich bis hin zum unvermeidlich suggestiven Ende (SPOILER ALERT) aufdrängt: Wie sicher können wir uns sein, in der Realität zu leben oder den Anspruch an eine einzige, existierende Wirklichkeit erheben? Der Tod als Mittel der Transition in eine andere Wirklichkeitsebene ist seit der Vorstellung eines Jenseits fester Bestandteil abendländischen Gedankenguts, anstatt jedoch auf eine paradiesische posthume Existenz zu hoffen, entscheidet sich Mal, Cobbs Ehefrau (gespielt von Marion Cotillard), den paradiesischen Zustand zu verlassen, um in die vermeintliche Realität zurückzukehren. Die Tragik dieses Freitods wird gesteigert durch Cobbs Enthüllung, Urheber des Zweifels gewesen zu sein, den dunklen Gedanken erst gepflanzt zu haben – eine Schuld, die schwer wiegt und erst nach adrenalingeladenen Verfolgungsjagden durch mehrere Traum- bzw. Bewusstseinslevels oder unzählige Filmminuten ans Licht tritt – the stronger the issues, the more powerful the catharsis.
Trotz Ansätzen psychologischer Traumarcheologie oder kathartischer Reisen ins Innere bleiben die philosophischen Anregungen, siehe Epistemologie, Leibniz etc., an der Oberfläche, virtuelle Realitäten, polyperspektivisches Erzählen oder Traumsymbolik wurden schon zur Genüge im Bereich filmischer und literarischer Science Fiction bearbeitet, Regisseur Nolan schnürt daraus ein vor allem visuell ansprechendes Paket, welches in den Übergängen zwischen den unterschiedlichen Traumlevels und parallelen Zeitlichkeiten innovative cinematographische Wege beschreitet. Die Dramaturgie des Traums ähnelt dabei leider, trotz der anfangs von Dicaprio versprochenen Unberechenbarkeit und fantastischen Unendlichkeit der Möglichkeiten, abermals dem traditionellen Vokabular des Hollywood Action- Thrillers. So wehrt sich das Unterbewusstsein des Träumenden gegen den spionierenden Eindringling durch militärische Aufrüstung, Autoverfolgungsjagden und Waffenkämpfe auf Jetskies in der Antarktis, mit Maschinengewehrgeratter im Ohr fragt sich der eine oder andere Zuschauer, ob so mancher psychologischer Konflikt vielleicht auf andere, subtilere Weise veranschaulicht worden hätte können. Am Anfang und Ende dieser komplexen Geschehnisse stehen subjektive Bedürfnisse, die wirtschaftlichen Interessen des einen, die familiären Wünsche des anderen – ob wir nun in einer von vielen Welten leben oder die Realität in Wahrheit ein virtueller Traum ist, während unsere Körper an irgend eine universelle Maschine angeschlossen sind und dieser als organische Energiespender dienen, diese Grundbedürfnisse konstituieren uns - so bleibt auch dieser Film eine Suche nach Identität, ausgedrückt durch die Positionierung in einer Beziehung, im wirtschaftlichen Machtgefüge, in einer konstruierten Realität – Such stuff as dreams are made on.
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