[ähnlich so im INDIE no. 34]
<meta> Hallo.
Du beginnst gerade diesen Artikel zu lesen. Und weißt wohl schon – vgl. Überschrift und Kontext und so – es geht um Blogs.
Keine große Sache. Du kennst das auch: blogs, blogger, blogosphere
(auch eine Haltung: hier hektisches Flügelschlagen und Schnabelhacken assoziieren –
bog, bog, bog, bog, boooog). Ich zum Beispiel besitze gezählte
vier Blogs, von denen genau dieser von genau drei anderen UserInnen
gelesen wird, die ihn in den letzten Monaten mit den Suchanfragen
„kackende Girls“, „geile, läufige
Muttersauen beim Milchsaugen“, aber auch „worauf wollte Goethe
bei Clavigo hinaus“ fanden. An dieser Stelle: Danke nach draußen,
ich hoffe, ihr wurdet bei mir fündig und ich würde euch gerne
einmal alle drei auf ein Frühstücksei treffen.
Jedenfalls, wenn und weil du hier bist, hast du schon einmal einen Blog durchgescrollt.
Und hast selbst einen. Oder zwei. Oder zumindest einmal daran gedacht
einen zu erstellen. Dieses Internet mit seinen Versuchungen. Die
Versprechen des 21. Jahrhunderts nur einen Klick entfernt. Einen
einzigen, unschuldigen Sign-Up-Button. Unlängst wieder verführerisch
in der rechten oberen Ecke deines Browserfensters: Sign-Up für
Bekanntheit, Ruhm und Ehre. Dein Eingehen in die Annalen des
Internets, dein digitales Zweitleben – all das beginnt mit einem
Blog. Jetzt. Gratis. Du musst dich nur anmelden. Dich mit einigen
fantastischen Einträgen in die Herzen der BloggerInnen posten. Sieh,
das Gute liegt so nah!
Und
stopp. Vielleicht wusstest du auch schon, worauf das hier hinausläuft
(lahme Interaktionsprosa): Tu’s bitte einfach nicht. Lösch deine
alten Blogs und registriere um Himmels Willen keinen neuen. Lass dir
das an dieser Stelle gesagt sein. Klar bist du interessant, erlebst
du super spannende Dinge, bist du schön anzusehen und deine Katze
auch süß. Aber bitte, fang gar nicht erst an. Alles, an was du
jetzt gerade denkst, alles, womit du deinen Blog befüllen wollen
würdest, all das gibt es schon. Vierfach. Genau.
Dazu kurz quasi Mathematik: 2011 gibt es auf der Erde geschätzte
130 Millionen Bücher und 150 Millionen Blogs. Die Blogosphere
existiert erst seit den späten 90ern und trotzdem ist sie praller
bestückt als die Bücherregale dieser Welt. Diese Überfülle und
Rasanz ist gleichzeitig fantastisch, beunruhigend und geil. Oder
anders gesagt: Stell dir vor, alles was sein kann, gibt es schon, in
Blogs, du musst sie nur noch finden (auch eine Haltung geklaut von Wittgenstein ). In diesem Sinne und zum Beweis folgen aufzählende
Kurzbeschreibungen zum Zeitpunkt der Print-Veröffentlichung dieses Artikels noch aktuelle, jetzt schon Retro-Blogbusters oder out of business. Lass dich also gleich
wegblasen von der Wahnsinnigkeit der Wichtig- und Nichtigkeiten, von
life, the universe and everything, von den höchsten Höhepunkten und
tiefsten Abgründe des Menschen in HTML und CSS gepresst.
Mein impliziter Kommentar zum Paragone "Print vs. Web": Weder dort noch hier gab oder gibt es die Links zum anklicken, die ja im Sinne des hermeneutischen Zirkels und so eigentlich essentiell zum Text dazugehören. Interaktion und Hyper* also nur via Erzählhaltung und Rezeption. Spaß! Wenn du außerdem das streng geheime Codewort knackst,
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Los geht’s.
B wie BLOG im BUNKER
Die
Kerben und Inschriften auf den Gefängniswänden sind Frühformen der
Blogs und legen nahe: Hinter Gittern ließ es sich immer schon
twittern. Dass Johnny die Krake da war und immer noch dort sitzt,
erfahren wir heute zeitgleich über die PrisonBlogs. Das
Internet als Fenster zur Welt ist dabei vergittert und der
Internetzugang der Knackies also beschränkt, sodass Kontaktmänner
und -frauen häufig deren handschriftliche Briefe einscannen oder
abtippen müssen, aber an Poesie fehlt es den Einträgen nicht.
Worüber bloggen die Häftlinge? Über Familie und Kinder da draußen?
Gitterstabszählungen? Die Feile im Geburtstagskuchen? Ben, erster
britischer PrisonBlogger – im Bau weil er im Alter von 14 Jahren
seinen Freund ermordete – verriet auf prisonerben.blogspot.com
das Gefängnismenü zu Weihnachten 2009, sowie seine Planung der
Silvesterfeierlichkeiten: „Keep your ears peeled
at midnight. In the absence of family, friends and booze, 84,000
prisoners will leap from their beds and kick hell out of their cell
doors. It sounds like the coming of the apocalypse but we hope it
marks the dawn of our freedom.“ Mittlerweile ist Ben draußen
und beschwert sich viel: „Travelling time is dead time. Sitting in
a car, a bus, a train, is an exercise in wasting my life away.“
Auch Tagesaktuelles kursiert in den Haftanstalten: Auf
livefromlockdown.com hält Marco Miguel seinen Finger auf ein
Thema, das uns alle quält: „Just think, is it safe to allow
American boys to be altar boys in Catholic churches?“, während
De’anna Tha’Doll
auf vier handschriftlichen Korrekturpapierseiten Abschied von Whitney
Houston nimmt und uns via betweenthebars.org daran teilhaben
lässt.
L wie LAUGHING OUT LOUD
Von
ha.blogspot.com
bis hahahahahahahahahahahahahahahahahaha.blogspot.com
kann man „ha“ für „ha“ immer schallender lachen, ohne einen
einzigen unbesetzten Blog zu finden.
Hahahahahahahahahahahahahahahahahahaha.blogspot.com
hingegen wäre noch frei. Jemand sollte die URL registrieren und
darauf einen sehr guten Witz posten.
O wie OVER 18
Denn
auch das Internet hat seine abgetrennte Videothekabteilung: Also gibt
es Blogs mit Fotos von hotchickswithdogswithboners.com
und „spitz wie Nachbars Lumpi“ trifft es genauer als sonst. Aber
auch die Herrchen leiden an der Erektion zur falschen Zeit: den
sogenannten awkwardboners.com.
Und auch den Brüsten, die vom Menschsein träumen, ist ein Denkmal
gesetzt. Titthinksitspeople.blogspot.com
wartet auf mit Brüsten, die so aussehen
wie bebärtete Gandalfs und behütete Mexikaner. Wer Derartiges nicht
in seinen Familienalben findet, vergisst jetzt bitte gespielten Stil,
Takt und Anstand und strg-c/strc-v endlich die angeführten Links.
Danke. (Und wenn du Mormone oder Literaturwissenschaftlerin bist,
findest du alternative Befriedigung auf
hotguysreadingbooks.tumblr.com,
dem Blog über die Jungs von nebenan, die
statt Phalli Bücher in der Hand halten, oder mit bookshelfporn.com
angesichts der geilsten Bücherregale und Bibliotheken von da bis
Texas.)
G wie GRABSTEIN
Caughtdeadinthat.tumblr.com
klingt zwar nach einem der unzähligen Modeblogs, sammelt tatsächlich
aber die ironischsten Grabinschriften. Mit „Well this sucks“ oder
„I told the doctors I was just fine“ ist das bisher unterschätzte
Genre der Grabsteinpoesie nur zwangsdürftig abgesteckt. Nachschauen
lohnt sich, auch um herauszufinden, was schönes auf Billy Wilders
Grabstein steht.
B wie BLOGGERNACLE
Offenbar
sind auch die Mormonen big in der Blogosphere, jedenfalls haben sie
einen eigenen tabernakeligen Namen für ihre Blogs: „the
bloggernacle“. Wer sich dort hinein traut, findet allerhand
Nützliches darüber, wie sich feministische Mormoninnen
(feministmormonhousewives.org)
die Schwiegersöhne für ihre siebenjährigen Töchter vorstellen
sollen, oder ob aufgemalte Fake-Tattoos den Mormonen-Nachbarn
beleidigen könnten. Fortschrittlich auch der Blog der
modernmormonmen.com,
auf dem man sich mit Sockenmustern und anderer „sexy-modest“
Kleidung beschäftigt.
U wie UNABSICHTLICH
Die
unabsichtlichen chinesischen Hipster –
accidentalchinesehipsters.tumblr.com
(ein Hoch auf buchstäbliche Titel) verdienen einen eigenen Eintrag.
Yes.
S wie STARS
Celeblogs und unser ur-voyeuristisches Verhalten sind vielleicht der
Grund für Blogs überhaupt. Daher hier ein Best Of der Jenny from
the Blogs:
1)
Die drei atemberaubendsten Dinge unter der
Sonne bringt selleckwaterfallsandwich.tumblr.com
zusammen – allein schon entzückend,
machen Tom, Wasserfälle und Sandwiches zu dritt in Sachen Relevanz
der heiligen Dreifaltigkeit Konkurrenz. Ausnahmslos sieht man auf der
Seite nicht mehr und nicht weniger, dafür gibt es einen eigenen
Themesong. 2) Dass Bill Cosbys Pullover eigentlich im MoMa
ausgestellt sein müssten, erkennt thecosbysweaterproject.com
und holt aus den liebgewonnenen Mustern unserer traumatischen
Kindheit die kleinen Gemälde heraus, die sie immer schon waren. 3)
Auch Dave Couliers (der lustige Onkel aus Full House) ikonische
Präsenz wird im Internet gefeiert: Seit 23. 11. 2011 postet
samepicofdavecoulier.tumblr.com
jeden Tag dasselbe Foto von ihm. Seit 23. 11. 2011 postet
samepicofdavecoulier.tumblr.com
jeden Tag dasselbe Foto von ihm. Seit 23. 11. 2011 postet
samepicofdavecoulier.tumblr.com
jeden Tag dasselbe Foto von ihm. 4) Jean
Dujardin schläft auf Sachen und Menschen
(jeansleepingonpeople.tumblr.com),
genauso wie 5) Kim Jong Il zuerst Sachen ansah und 6) jetzt nur mehr
den Bass dropped (kimjongillookingatthings.tumblr.com
bzw. kimjongildroppingthebass.tumblr.com
) 7) Und die Bebians, also die
lesbianswholooklikejustinbieber.tumblr.com
– werden in Cuteness nur noch geschlagen von der gedoppelten Macht
von 8) ryangoslingvspuppy.tumblr.com
– das Internet stellt sich nämlich auch die Frage, ob Ryan Gosling
süßer ist, als ein Hundebaby.
T wie TIERE
Als
die Tiere den Wald verließen und es sich virtuell einrichteten,
wurden sie mehr und besser. Online führen sie uns vor, wie sie
Zentrum unserer Kultur geworden sind. Die häufigsten thematischen
Fotoblogs sind die der vierbeinigen Freunde mit Charakter: Katzen in
Brotscheiben – breadedcats.com?
Katzen gescannt – thecatscan.tumblr.com?
Catsthatlooklikehitler.com?
Alles da. War vor einigen Jahren nur der fünfte Tag der Woche als
„Catblogging“-Day etabliert, ist mittlerweile jeder Tag Freitag
für die Kittyblogger und klicken sich unsere Mäuse durch die
Asthmafalle Internet. Und sie finden tierische Nachahmer: Pandas mit
Torten gibt’s auf pandalovestoparty.tumblr.com.
Verkaterte Eulen auf hungoverowls.tumblr.com.
Weintrauben und Sushi auf dem Kopf des Staffordshire Terriers „Tiger“
und das Ganze wiederum auf foodonmydog.tumblr.com.
Bei fuckyeahinterspeciesfriendships.tumblr.com
schmusen Rehe und Katzen, Hunde und Ziegen. Und Pferde, die
aussehen wie Sarah Jessica Parker oder umgekehrt findest du hier:
sarahjessicaparkerlookslikeahorse.com.
Die Blog-Fauna ist Darwins Gesetzen schon lange nicht mehr
unterworfen.
E wie EHEMANN, SCHNARCHEND
Adam
spricht im Schlaf, seine Frau nimmt das Nacht für Nacht auf, stellt
die Originaltonaufnahmen und ihre Transkriptionen auf
sleeptalkinman.blogspot.com
und erfreut damit das WWW. Der gute Mann, der tagsüber angeblich
kein Wässerchen trübt, führt uns in der Nacht in die Abgründe des
Unterbewusstseins („You're exactly the
type of person I'd throw a cake at. Swiftly followed by a brick. And
then an elk.“) und korrigiert dort Freud:
„I'm not just id, ego, superego. I'm id,
ego, super-mega-fucking-awesome-ego!“
R wie RIECHORGAN
Nasenblogs.
Sehr wichtig. In diesem Fall werden in statistisch relevanten Mengen
Ninja Turtles auf den
Nasen unserer Welt gefunden und dokumentiert. Mission von
teenagemutantninjanoses.tumblr.com:
„God is the artist. I just find the Ninja Turtle in his work“
– sogar übrigens auf der Nase des Papsts. Und dann wäre da noch:
Der Mann, der seit 2007 seine
Nieser zählt und dabei nicht nur Nummer
Zweitausenddreihunderteinundfünzig, sondern auch Ort und Umstand des
Schneuzers auf sneezecount.joyfeed.com notiert. Wir schlagen
nach und staunen: Am 15. 1. 2012 hat er beim Einräumen des
Geschirrspülers mittelmäßig bis stark und jedenfalls zum
zweitausendachthundertneununddreißigsten Mal geniest. Gesundheit!
S wie ESSEN
OK,
Schokoriegel und Sandwiches sind gut. Klar. Aber eingescannt sind sie
besser. Keine Frage. Das beweisen scandybars.tumblr.com
und scanwiches.com.
Die Scanner machen aus Twix und Tomatenbroten Rembrandts. Ja, und
auch wie du deinen Kaffee jeden Morgen trinkst, muss sich ändern.
Hast du ihn schon einmal mit Sauce Hollandaise, oder
Lachsaufstrich, oder Eiern, oder Haggis gespiked?
Puttingweirdthingsincoffee.com
tut das und betreibt dabei viel physikalischen Aufwand, um die
unterschiedlichsten Aggregatzustände misch- und trinkbar zu machen
und das Ergebnis fotografisch zu dokumentieren. Selbst der einsame,
zertretene Cheeto-Chip auf den Straßen der Welt hat einen Blog. Mal
zerbröselt, mal aufgeweicht, gibt er sich auf
lonelycheetos.tumblr.com
sehr vielseitig, je nach Tagesverfassung. Und wenn einem der
Kuchen nicht so gelingt wie Oma, kann man seine Tränen über
cakewrecks.com trocknen. Genau. Mit einem Blog über
schiefgegangene Kuchen. Wie gut, dass es das gibt.
den enttäuschenden text-coitus interruptus gibt's gratis dazu. danke. </meta> <or is it?>
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