2012-10-08

BLAAAAAAAAWWWWWWWG.


Ein Blick ins Jahr 2342
[gleichfalls ähnlich so im INDIE no. 34]


BLAAAAAAAAWWWWWWWG. Das Internet rülpst und rollt sich schmatzend auf die Seite. Andächtig wabern seine Fettpölster der Bewegung nach. Die halbvolle Colaflasche still und ungerührt daneben. Träge und dick geworden ist es in den letzten Jahren, kommt kaum noch in die Senkrechte seitdem die Welt ohnehin direkt bei ihm stattfindet. Postmodem. BLLLAAAAAAAAAAAAAAWWWWWWWG. Schon wieder, dieses Mal inklusive Extrawurstgeruch. Das Internet tätschelt seinen Bauch. Alles klar da unten? Die Bauchdecke ist härter, gespannter als noch vor einigen Wochen. Wenn es bloß nicht wieder das hartnäckig nachwachsende Magengeschwür ist, das es seit den 2000ern immer wieder plagt. Wo ist die Zeit nur hin. Millionen von Exabytes sind downgeloadet worden, seitdem das Time Magazine 2006 stellvertretend für das Social Web „dich“ als Menschen des Jahres aufs Titelblatt geholt hat. Unprozessbar viel hat sich verändert: Die starke Anonymous-Lobby hatte ihm zunächst den unguten SOPA mit seinen ersten Vorwehen 2012 ad acta gelegt, kurz danach war auch der letzte Berggipfel per W-LAN erschlossen worden. 2054 schaffte es David Karp, Erfinder und Gründer von Tumblr, seine Rechte auf Babies geltend zu machen, die einer Tumblr-Bekanntschaft entsprangen, und sie als wandelnde Reblogs eintragen zu lassen. Damit begannen die altbekannten Grenzen von Realität und Virtualität zu verschwimmen. Web 2.0, 3.0, 4.0, ebenso wie das ein wenig aus der Reihe fallende Web 4.23 aktualisierten einander wie als hätte jemand auf der F5 Taste geparkt, 2103 wurde in fünf Dimensionen und vier verschiedenen Sprachen gleichzeitig und ausschließlich online kommuniziert. Ab 2108 war ‚offline‘ ein Straftatbestand. 2140 existierten erstmals 10mal so viele Blogs wie Menschen. BLAAAAWWG. Das Internet kichert verlegen. Bei der Feier damals hatte es im Koksrausch den Präsidenten der Vereinigten Staaten abgesetzt. Nur fünfzehn Jahre danach waren endgültig alle Gehirne direkt ans Internet angeschlossen. Damit wusste potentiell jeder alles und es waren nun die Blogs, die als Informationsordner und -sortierer an Macht gewannen. Auf persönlicher Ebene gab es den Erst-, Zweit-, Drittblog, auf kommunaler dann den BotBlog, der automatisch Blogupdates sammelte. Darüber stand regional der BotBotBlog, der automatisch Blogupdates der BotBlogs sammelte, die automatisch Blogupdates sammeln. Und darüber wiederum die BotBotBotBlogs oder Blogblogs. Die Blogblogblogs und schließlich die ganz wichtigen BLAAAAAAAAAAWWWWWGS. Das war rein organisatorisch kaum mehr zu bewältigen und neue Verwaltungssysteme mussten her. 2236 schlossen sich die Blogs zu Gewerkschaften zusammen. Forderten 2248 das freie und uneingeschränkte Wahlrecht (das sie zwei Jahre später erhielten) und 2280 das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe (auch dies mit Erfolg, bis dahin sollte es aber ganz sieben weitere Jahre dauern). Unbemerkt waren dazwischen die Menschen in den Hintergrund gerückt, die nun vor allem flexible Server und Datenmirrors bildeten – nachwachsenden Speicherplatz für die zahlreichen Mikro- und Makroblogging-Services. Ja, und bis zum heutigen Datum hat man das Problem des gemeinen Schnupfens nicht lösen können. Selbst Hausmittel wie Norton oder McAfee versagen konfrontiert mit derartig perfider Binarität. Aber unter all diesen Entwicklungen eine gesundheitsschädigende Ursache? Ein verdrängter Stressfaktor? Nachdenklich bläst das Internet Luft zurück durch den Strohhalm in die halbvolle Colaflasche. Betrachtet das Aufsteigen und Zerplatzen einer neuen Blase. Dass es all das ja eigentlich wissen müsste, weil es alles weiß, was ‚Wissen‘ genannt wird, beunruhigt es ein wenig. Mit kreisenden Streichelbewegungen versucht es den prallen Bauch zu besänftigen, der schickt aber immer noch vereinzelte BLAWGS an die Oberfläche. Plötzlich – der richtige Link – hat das Sinn-Buffering ein Ende. Natürlich! Magengeschwür und Rülpsen in absoluter Virtualität ja völlig sinnlos! All das also bloß Allegorien für einen dystopischen Text über die Zukunft der Blogs... Die Fettschichten wabern wieder stolz. Mit einem Zug ist die Colaflasche leer. Schließlich rollt sich das Internet erschöpft zurück. Kurz vor dem Einschlafen denkt es noch an Zuckerberg.

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