Das kleine Ich Bin Ich und Das hässliche Entlein finden ans Theater. Oder: Über Mayenburgs „Der Hässliche“ am Wiener Schauspielhaus.
(Katharina Serles)
“And I'm trying to be a person, / But they all say I'm worthless. / This is my description of an ugliness.”
Iggy Pop, Wegbereiter des Punkrock, singt 2001 was 2007 Hintergrundmusik zu Mayenburgs „Der Hässliche“ gewesen zu sein scheint. Individualität, ästhetischer Schönheitsbegriff, Identität und Erfolg – Hier wird auf die Bühne gebracht, was wir eigentlich schon unzählige Male auf MTV und VIVA gehört und gesehen haben, aber während wir gedanklich bei Michael Jackson und Pamela Anderson hängengeblieben sind und kopfschüttelnd Vorher-Nachher Fotos vergleichen, hält Mayenburg seinen Finger auf den ganz alltäglichen, allumfassenden Identitätsverlust. Sein Stück ist keine Hollywoodkomödie, nicht Kritik an der Schönheitsindustrie, es ist ein unaufdringlich lockeres Abtasten der großen philosophischen Fragen um Identität und Wahrnehmung. Wer bin ich? Woran mache ich mich fest? Wer bin ich wenn ich anders gesehen werde? „Der Hässliche“ ist eines jener Werke, die absurd komisch auf der Zunge zergehen aber im Abgang nachdenklich stimmen. Klar, das haben wir alles schon gehört, beginnend bei unseren Kindheitslektüren, bei Mira Lobes „Das kleine Ich bin Ich“ und Hans Christian Andersens „Das hässliche Entlein“, aber gerade jetzt zwischen Germany’s Next Topmodel und MTV Made, ist das wieder eine wichtige Stimme, die abseits von Talk- und Realityshows endlich der Eigenwahrnehmung nachfühlt.
Marius von Mayenburg klingt übrigens nur nach dem Barockdichter Hofmann von Hofmannswaldau, hat zwar ausgerechnet Altgermanistik (und szenisches Schreiben) studiert, lebt aber noch. 1972 geboren, 1997 ausgezeichnet mit dem Kleist-Förderpreis für Junge Dramatik, seit 1999 Dramaturg und Hausautor an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin.
In „Der Hässliche“ spielen vier Schauspieler acht unterschiedliche Figuren die wohl so unterschiedlich gar nicht sind, das steht so in den Regieanweisungen. Einer von ihnen, Lette ist angeblich potthässlich, er weiß es zu Beginn nur nicht; auch hier greift der Autor vor, laut Regieanweisung soll Lette ausdrücklich „normal“ aussehen, nicht extra hässlich besetzt oder geschminkt werden. Dieser Lette lebt nun anfangs in märchenhaftem Einklang mit sich und der Welt und mit Fanny, die ihn liebt wie oder obwohl er so ist wie er ist. Er ist zwar Entwickler eines tollen Steckers, darf ihn aber nicht präsentieren – endlich „stecken“ es ihm Fanny, sein Chef Scheffler (was für ein sprechender Name) und sein Mitarbeiter Karlmann: Sein Gesicht ist nicht verkaufsfördernd. Die Konsequenz wird schnell gezogen, Lette kauft sich ein neues Gesicht und plötzlich wird alles – nicht nur sein Äußeres – ganz anders. Sein Gesicht kommt so gut an, dass es plötzlich alle haben wollen. Ein Lettenarzissmus macht sich breit und am Ende findet Lette bei all den Lettes sich selbst nicht mehr.
„You are beautiful. No matter what they say.“ (Christina Aguilera) vs. “Es ist nicht, daß ich dich häßlich finde. […] Es ist keine Frage, was ich finde oder nicht finde. […] Du bist häßlich. Das ist eine Realität.“ (Fanny)
Marlon Metzen inszeniert „Der Hässliche“ für April/Mai im neu eröffneten Schauspielhaus in Wien als flotte Abendunterhaltung. Gleich zu Beginn tritt Scheffler (Christian Dolezal) auf halbdunkler Bühne auf und beginnt seine ersten Sätze über das Hotel Excelsior wiederholt rhythmisiert zu sprechen, geradezu zu rappen, in schönstem nasalen Hietzinger Deutsch. Dann Auftritt Lette (Johannes Zeiler), Fanny (Bettina Kerl), Karlmann (Vincent Glander): Alle lachen, alle setzen sich (auf die Plätze), die Bühne wird voll ausgeleuchtet (fertig) – los geht’s. Die folgenden 70 Minuten werden im Dauerlauf zurückgelegt, der schnelle Text ohne Szenenwechsel weil ohne Szenenaufteilung bleibt schnell und dem Raum enthoben.
Als Teil der Reihe „Schauspielhaus-Skizze“ wird auch hier versucht sich dem Text ganz unmittelbar zu nähern, ihn ohne eigenes Bühnenbild nach nur zwei Wochen Probenzeit aufzuführen. Teilweise entspricht dieses Format sogar der Vorstellung Mayenburgs, dem es „im Theater um den Schauspieler geht, um die Begegnung des Publikums mit ihm, und nicht um den Autor, den Regisseur, den Bühnenbildner oder sonst wen. […] Wo das Ganze stattfindet, ist mir egal. Schön ist es, wenn es nicht reinregnet, und die Schauspieler und Zuschauer nicht frieren müssen.“ Im Schauspielhaus bleiben Bühne und Zuseherraum weitestgehend leer. Auf weißer Bühne, vor weißer Rückwand stehen vier Sessel, im Halbrund angeordnet. Auf ihnen sitzen die Darsteller wie auf der Ersatzbank, meist wenn sie nicht direkt in die Szene involviert sind, Auf- und Abgänge gibt es nicht und selbst wenn sie nicht gerade spielen, sind sie Teil des Stücks, kommunizieren wortlos miteinander oder kommentieren das tatsächliche Geschehen.
Dass aber dennoch verschiedene Schauplätze einander abwechseln, wird angedeutet durch sesseltanzartigen Sitzplatzwechsel und unterschiedliches Licht, das die Bühne dann rot, blau, grün oder gelb ausleuchtet. Ganz besonders gut gelingt es Metzen aber auch die fließenden Übergänge sowie die Doppeldeutigkeiten, die aus den Doppelbesetzungen resultieren, anhand der Figurenkonstellationen zueinander zu unterstreichen: Liegt in einer Szene die alte Fanny, die Schönheitsoperierte lüstern auf Lette, drehen sie sich bei Szenenwechsel um und liegt in der Folgeszene der nun alles unter sich begrabende, ichbezogene Lette auf der Ehefrau Fanny. Küsst Johannes Zeiler als Lette in einer Szene lustvoll die Narbe der alten Fanny, schreit Bettina Kerl als Ehefrau Fanny gleich darauf auf und stößt ihn weg.
Überhaupt bewegt sich die alte Fanny nur lüstern um und auf Lette, hält ihm immer entweder neckisch ein Bein hin oder springt ganz in seinen Schoß, mehr Bühnenraum erspielt sie nicht. Die junge Fanny, die Anti-Aguilera, stellt klar: Lette ist hässlich. Das hat nichts mit subjektivem Empfinden zu tun. Viel ehrlicher, viel brutaler, aber so ist das mit der undiplomatischen Fremdwahrnehmung und den Figuren in Mayenburgs Stück. Dolezal, Zeiler und Co. spielen ihre Rollen dementsprechend auch ein bisschen typenhaft, wenig facettenreich, aber mehr will schon der Originaltext mit keiner seiner Figuren. Sie zitieren vielmehr unsere stereotype Wahrnehmung alltäglicher Umgebungen. Da sind der gewinnorientierte Chef und der gewinnorientierte Chirurg, der rivalisierende Mitarbeiter und der unterdrückte, schwule Sohn, die liebende Ehefrau und die promiskuitive Gegenspielerin, und in ihrer Mitte der zuerst nette Hässliche und dann größenwahnsinnige Schöne. Die Schauspieler meistern die Doppelbesetzungen mit erstaunlicher Differenziertheit, die im finalen Selbstgespräch Lettes kulminiert, in dem Zeiler beide Stimmen (ach in seiner Brust) stimmlich ganz klar von einander abgrenzt. Dolezal spielt beherzt, streckenweise – vielleicht vom hysterisch lachenden Publikum angetrieben – übertreibt er es aber mit dem kalauernden Scheffler und bleibt, etwa wenn er mehrmals deutlich den Dialekt Schefflers ändert, in seiner Spielweise nicht präzis und eindeutig.
Am schönsten (!) ist, dass wir die ganze Zeit auf Zeilers Nase starren und uns fragen, ob die jetzt wirklich ungewöhnlich unschön ist, oder uns das ständige Gerede über Lettes Hässlichkeit nicht doch beeinflusst hat. Und, dass Bettina Kerl als Ehefrau Fanny beim ersten Verbandwechsel einen hollywoodreifen Horrorschrei ausstößt, den wir ihr fast abnehmen möchten. Und irgendwie erinnert uns das dann doch an unsere Schullektüre. Wie war das denn noch mit diesem Käfer in Kafkas Verwandlung. Gregor zwischen Eigenwahrnehmung, Verwandlung und Fremdwahrnehmung. Ja, hier wird Realität der Bühnenwelt aus Worten geformt. Und irgendwann sollen wir uns selbst dabei ertappen, den operierten Lette mit Zahnpastalächeln, nach hinten gestrichenen Haaren, hochgekrempelten Ärmeln und strahlend vor Selbstbewusstsein, schöner zu finden. Lette wird uns als Robbie Williams präsentiert und wir stolpern in die Falle. Dass Metzen ganz stark auf das Publikum und dessen Reaktionen abzielt, zeigt sich auch in Szenen in denen konkret mit den Zusehern gespielt wird. Da zeigt zum einen Fanny auf verschiedene Gäste im Zuseherraum wenn sie über die vielen Liebhaberinnen Lettes spricht, da tritt zum anderen Scheffler mit Mikrofon in den Publikumsraum um Lettes Gesicht wie in einer Verkaufsshow für die Zuseher zu bewerben. Besonders auffallend – das bei dieser Thematik so naheliegende Requisit Spiegel fehlt, stattdessen blickt Lette ins Publikum um sich zu betrachten. Einer von vielen gutgemeinten Hinweisen der Regisseurin in Richtung Fremdwahrnehmung, mehr macht sie aus diesem Stück leider nicht. Die Ich bin Ich Geschichte über die Suche nach Identität geht ein bisschen verloren, da hilft der surreale Schluss nichts mehr, wir haben vorher schon zu viel gelacht. Für mehr als nur nette Abendunterhaltung braucht es wohl doch mehr als zwei Wochen Vorbereitungszeit.
2009-08-14
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