… bis sich das Hämmern legt im Kopf.
Barbara Frey inszeniert Shakespeare’s Spätwerk „Der Sturm“ im Wiener Akademietheater und in den Köpfen des Publikums. Ein gedachtes Stück, ein erzählter Sturm und dennoch ein bilderreicher Abend. (15.06.2008)
von Katharina Serles
Hier wird gearbeitet.
Der Vorhang hebt und senkt sich nicht im Akademietheater. Schon vor dem erwartungsvollen Verstummen des Sonntagabendpublikums liegt alles offenbar, die moderne Nicht-Illusion in Form von zusammengewürfelten Möbeldepotstühlen um zwei schwarze, abgelebte Arbeitstische. Das Bühnenbild von Bettina Meyer scheint im Aufbau begriffen, die Rückwand steht noch nicht zur Gänze, noch klebt Plastikschutzfolie auf den schwarzen Wandplatten. Kaltes Aufbaulicht bestrahlt das Inventar von unten, die Stapel von Büchern und Manuskripten in der Mitte des Tischs und die vielen bunten Lesezeichen dazwischen signalisieren: Hier wird gearbeitet. Und wie sich in den folgenden eineinhalb Stunden zeigen wird: Hier wird mit dem Text gearbeitet.
Hier wird gekürzt.
Ähnlich wie Paul Brodowsky mit „Troilus und Cressida“, im Rahmen der Wiener Festwochen von Luk Perceval inszeniert, verfährt Frey mit „Sturm“, sie streicht nicht nur den Artikel im Titel, gemeinsam mit dem Dramaturgen Joachim Lux kürzt sie das gesamte Original stark, ordnet Szenen um, trennt oder verbindet sie neu und lässt die doppelt- und dreifach besetzten Schauspieler immer wieder andere Rollen einnehmen oder aus den Rollen treten und bloß erzählen.
Hier wird nicht gespielt.
Die Geschichte des faustischen Ex-Herzogs Prospero (Johann Adam Oest), der zusammen mit seiner Tochter Miranda (Maria Happel), vom eigenen Bruder in die mystisch-archaische Inselwelt der bösen Hexe Sykorax verbannt, in merkwürdiger Symbiose mit dem hässlichen, bösartigen Caliban (ebenfalls Maria Happel) und dem treu ergebenen Luftgeist Ariel (Joachim Meyerhoff) einsam lebt und nun in seiner späten Rache die Fäden selbst zieht, die intriganten italienischen Verwandten abstraft und Ferdinand (ebenfalls Joachim Meyerhoff) dem Königssohn von Neapel seine Tochter zuspielt, inszeniert Frey relativ handlungsarm. Schon der erste Auftritt Prosperos ist ein Nicht-Auftritt. Er erscheint rückwärts, verlangsamt, zieht erst seinen hellen Brokatmantel an, setzt sich, sieht sich um und schweigt lange. Sturm und Schiffbruch bringt Frey erst gar nicht darstellerisch auf die Bühne, stattdessen lässt sie die Schauspieler lieber Shakespeare Sonette rezitieren; Ariel entfacht keine Orkane, sondern haucht sanft über Prosperos’ Kopf; und auch die finalen Dialoge zwischen Alonso, Sebastian, Antonio und Prospero finden so nicht statt, die Schiffbrüchigen schweben irgendwo links im Zuschauerraum, unsichtbar, unhörbar auch für Prospero, der sich ihre Antworten von Ariel zubringen oder übersetzen lassen muss. Wie bei Peter und der Wolf werden die Figuren von eigenen Soundlogos angekündigt, wiederholter Käuzchenschrei und Donner kündigen immer wieder Bedrohung an, doch der eigentliche Sturm kommt nie.
Hier gibt’s nichts zu sehen.
Wahrlich, da wird dem Auge wenig geboten, dennoch bewegt sich die Inszenierung damit besonders nah am Original. Schon dem elisabethanischen Publikum wurde wohl nicht mit naturgetreuer Insellandschaft aufgewartet, auch das Shakespeare’sche Festtagsaufgebot der ersten Szene, einer ganzen Schiffsbesatzung samt König und Königsbruder auf hoher See bei Blitz und Donner mit dem Tode ringend, blieb sicher großteils Produkt der Phantasie. So fügt es sich also einerseits gut, dass das Theater des 21. Jahrhunderts ohnehin von sich aus gerne auf naturalistisches Beiwerk verzichtet, andererseits versucht Frey in der bewussten Weiterführung der Nicht-Inszenierung etwas anderes: Es ist nun ein Abtasten des Texts, auf seine Komik wie auf seine Ernsthaftigkeit, aber vor allem auf seinen Imaginationsgehalt. Was entsteht in den Köpfen der Zuschauer, wenn Prospero an seinem Schreibtisch sitzend aus der Ferne die alten Geister auferstehen lässt und sich erinnert? Im schlechtesten Fall nur gute Unterhaltung, im besten Fall erfahren wir:
Hier ist alles nur Schein.
Die Insel ist nicht Realität, sie ist nicht real abbildbar, sie ist Modell von Realität, sie ist Theater ohne Autorinstanz, ohne sinnstiftenden Ansatz- oder Auflösungspunkt. Die Widersprüche oder Uneinigkeiten, die auf der Insel aufgeworfen werden, werden nicht gelöst. Das ist schon im Originaltext angelegt, der die Insel einmal grün wuchernd, einmal dürr und karg beschreibt, oder der Prospero nicht stur seinen Racheplan verfolgen lässt. Das unterstreicht aber auch die Inszenierung indem sie eben doppelt besetzt, Grenzen zwischen Figuren damit verschwimmen lässt, beziehungsweise sie um Dimensionen ursprünglich scheinbar konträrer Figuren erweitert. Damit ist diese Insel, dieses Theater wahrer und als Gedankenmodell dennoch flüchtiger als alles was typisch und eindeutig bleiben darf. Dementsprechend lässt Frey Prospero, der sich das ganze Stück über immer wieder an den Kopf gegriffen hat als würden ihm die Geschehnisse Kopfschmerzen bereiten und sich das Hämmern eben nicht legen, mit folgenden Worten schließen: „[…]unsere Spieler waren Geister alle […] das ins Nichts gebaute Trugbild wird vergehen wie der Erdball, […] das wesenlose Schauspiel zerfließen, verschwinden ohne Spur. Wir sind aus solchem Stoff aus dem man Träume macht.“ Oest schließt bewegt, vielleicht mit Tränen in den Augen, er spricht hier auch über seinen Beruf. Dann kehrt er den Anfang um, er zieht den Mantel aus und geht ab. Diesmal vorwärts. Erinnerung, Kopftheater Ende.
Aber ein bisschen fühlt es sich an wie in Shakespeare’s Globe Theatre.
Frey inszeniert vielleicht nicht texttreu, aber Shakespearetreu. Sich in einem Stück von Shakespeare nämlich einfach gut zu unterhalten heißt, es ein bisschen wie Shakespeare und seine zeitgenössischen Zuseher anzunehmen. Es birgt eine gewisse Komik in sich, wenn aus dem treuseligen Ariel mit Hornbrille und elisabethanischem Halskrausenhundehalsband durch blonde Mittelscheitelperücke und keck aufgesetztem Froschprinzenkrönchen Ferdinand der Königssohn von Neapel wird (Kostüme von Bettina Munzer), oder wenn sich derselbe als Stephano mit Haube innerhalb von Sekunden wieder in Ariel und zurück verwandeln muss. Wie auch bei Perceval dient die Kopfbedeckung bei Frey allen Figuren als vordergründigstes Erkennungs- und Identitätsmerkmal. Besonders gelungen scheint die komische Doppelung von Caliban/Miranda – da wird die unschuldig, jungfräulich schöne Feengestalt Miranda eins mit dem hässlichen, bösen Caliban, beide kahlköpfig in ein raupenartig enges, braunes Gewand gezwängt. Aber der großartigen schauspielerischen Leistung aller Beteiligten und dem notwendigen Ernst von Darsteller und Regie ist es zu verdanken, dass die Bearbeitung nicht zur Farce wird. Shakespeare wird hier wenn nicht wirklich greifbar, jedenfalls denkbar.
2009-08-14
doch eine rezension. sturm (w.shakespeare) - akademietheater
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